Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
Vom Netzwerk:
Geringsten zu beeindrucken, dass er vom Sohn des Patrão beobachtet wurde. »Mein Jüngster kommt nächstes Jahr in die Schule – Kinder, Kinder, wie die Zeit vergeht«, sagte er mehr zu sich selbst als zu dem unerwarteten Besucher. »Aber Sie sind ja auch schon ein junger Herr. Ich weiß noch genau, wie Sie hier …« Doch Alberto unterbrach ihn plötzlich. »Nur weiter so.« Damit wandte er sich ab und ging seines Weges. Die ganze Szene war ihm überaus peinlich gewesen. Am Euter einer Kuh herumzufummeln, ihre Milch abzuzapfen und dabei zwischen ihren Beinen zu sitzen – das erschien ihm als extrem anstößig und unsittlich. Und dem Knecht dabei zuzusehen, das war fast so schlimm, wie das Bett der Eltern rhythmisch knarren zu hören.
    Unbewusst hatte Alberto seinen Gang beschleunigt. Als er am Waldrand anlangte, war er außer Puste. Er trat unwirsch nach einem Stöckchen und ärgerte sich über sich selber. Hatte ihn das Internat so verzärtelt? Seit wann konnte er nicht einmal mehr beim Melken zusehen, ohne rot zu werden? Was war nur mit ihm los? Ständig gingen ihm irgendwelche Schweinereien durch den Kopf. In jedem zylindrischen Gegenstand sah er einen Phallus, in jeder Spalte oder tropfenförmigen Öffnung eine unaussprechliche Sache, die selbst sein Biologielehrer nur mit Mühe zu artikulieren wagte. Alberto konnte weder Würste noch Muscheln essen, ohne vor Scham fast im Boden zu versinken. Das war sehr lästig, gehörten doch die regionale geräucherte
linguiça
sowie
porco à alentejana
, mariniertes Schweinefleisch mit Venusmuscheln, zu seinen Lieblingsspeisen.
    Er hoffte, dass sich dieser Zustand bald wieder legte – ganz legte und nicht so, wie sein Vater prognostizierte, in einen etwas weniger schambelasteten, aber nichtsdestoweniger beschämenden Zustand überging. »Wenn du erst so alt bist wie ich, bist du froh über jeden Ständer, den du bei deiner Frau noch bekommst«, hatte sein Vater gesagt und war in dröhnendes Gelächter ausgebrochen. Alberto hatte sich selten in seinem Leben so schrecklich gefühlt. Am selben Abend hatte er heimlich seine Mutter studiert und versucht sich auszumalen, wie sie mit seinem Vater … aber es ging über sein Vorstellungsvermögen, auch wenn sein Verstand ihm sagte, dass sie bei vier Kindern ja kaum immer keusch gewesen sein konnte. Er betete, dass man ihm seine schmutzigen Gedanken nicht an der Nasenspitze ablesen konnte.
    Aber diese Sorge hätte Alberto sich sparen können. Er hatte ein kindliches Gesicht, auf dem zu seinem großen Unglück noch kein einziges Barthaar wuchs. Zudem war er von kleiner Statur, so dass ihn alle für jünger hielten, als er war. Niemand, am wenigsten seine Familie, hätte hinter der unschuldigen Fassade den Geist eines jungen Mannes vermutet, die Nöte eines Heranwachsenden und die erdrückenden Schuldgefühle eines unfreiwillig lüsternen Jünglings. Die einzige Person auf der ganzen Welt, die erkannt zu haben schien, dass er kein kleines Kind mehr war, war Laura da Costa.
    Er erinnerte sich noch gut an sie. Sie war die Cousine der Mädchen von der nächstgelegenen Quinta. Früher, als Kinder, hatten sie oft Fangen oder Verstecken zusammen gespielt, er, sein Bruder Mário, die drei Mädchen von Belo Horizonte, der kleine Paulo und eben Laura. Alberto hatte Laura eine ganze Weile nicht mehr in der Gegend gesehen, was aber in erster Linie daran lag, dass er selber kaum noch hier war. Jetzt, über die Weihnachtstage, war er endlich einmal wieder zu Hause, auf dem elterlichen Anwesen »Herdade do Bom Sucesso«. Umso größer war sein Erstaunen darüber, wie erwachsen die Nachbarmädchen und ihre Cousine geworden waren. Laura war so alt wie er. Aber im Gegensatz zu ihm sah sie definitiv nicht mehr aus wie ein Kind. Und sie benahm sich auch nicht so.
    Sie hatte mit ihm geflirtet. Als er ihr gestern bei einem seiner einsamen Streifzüge durch die Natur begegnet war, hatte sie ihn aus ihren mysteriösen Mandelaugen schräg angesehen, ihm eine Zigarette angeboten und sich dann, nachdem er abgelehnt hatte, selber eine angezündet. Beim Ausatmen des Rauchs hatte sie ihre rot geschminkten Lippen lasziv aufgeworfen, und Alberto war fast wahnsinnig geworden bei diesem Anblick. Sie hatten sich auf einen umgestürzten Baumstamm gesetzt, und Laura hatte die Beine so übereinandergeschlagen, dass sie ihm einen Blick auf ihre Strumpfbänder erlaubte. Ojeojeoje! Er hatte gehofft, dass ihr sein Zustand entging, aber sie hatte ihn weiter gereizt,

Weitere Kostenlose Bücher