So weit der Wind uns trägt
abends etwas anderes vorhatte, als der verwöhnten Senhora den dürren Hintern herumzuheben?
Mit den Jahren hatte der Trumpf, von dem Dona Juliana glaubte, dass sie, Luiza, ihn in der Hand hielt, seine Wirkung verloren. Immer weniger hatte die Patroa sich einschüchtern lassen von ihren zweideutigen Blicken und unausgesprochenen Drohungen. Inzwischen waren wieder Verhältnisse eingekehrt, die für sie selber fast so demütigend waren wie in den allerersten Jahren. Vielleicht war es an der Zeit, zu gehen.
Einen kurzen Moment lang gestattete Luiza sich die Vorfreude auf das zweite Frühstück, das sie sich nachher in der Küche gönnen würde. Ihre Dienstherrin würde ja doch wieder nur einen Bruchteil dessen verzehren, was an feinem Gebäck und importierten Marmeladen auf dem Tisch stand. Dann gewann ihr Zorn wieder die Oberhand, und im Kopf gingen Luiza all die schlüpfrigen Andeutungen über das Lotterleben der Senhora herum, die sie ihrem Manuel am Abend auftischen wollte. Mit wütender Entschlossenheit klemmte Luiza das Bettlaken so fest unter der dicken Matratze fest, dass diese sich wölbte und dass die Zehen der Senhora davon abgequetscht werden würden.
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F ür die meisten Emigranten in Lissabon war es eine Zeit, die man wegen der überlaufenen Herbergen und astronomischen Preise in Erinnerung behielt. Eine Zeit, die sich aufgrund der ständig lauernden Gefahr und der permanenten Angst um Angehörige, die noch nicht im »sicheren Hafen« Lissabon angekommen waren, unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt hatte. Eine furchtbare Zeit, in der man gelernt hatte, dass rücksichtsloses Drängeln mehr wert war als zivilisiertes Schlangestehen und falsche Papiere mehr als echte Freunde. Es war eine Zeit, die Stoff für Legenden geboten hätte – und vielen im Nachhinein doch nur Anlass zur Scham und zum Schweigen war. Wer brüstete sich schon gern mit all den Schandtaten, die er begangen hatte, um die eigene Haut zu retten?
Jakob sah das Jahr 1939 in einem rosigeren Licht. Er hatte die Liebe kennengelernt. Eine echte, reine, große Liebe, die nichts von kindischer Schwärmerei oder den fiebrigen Phantasien eines Jünglings hatte. Laura war die Frau, von der er immer geträumt, aber nie zu hoffen gewagt hatte, dass es sie in Wirklichkeit gab. Doch sie war real. Ihre Selbständigkeit war es, ihre liberalen Ansichten, ihre künstlerische Begabung, ihr Musikverständnis und nicht zuletzt ihr wunderschönes Aussehen. All das fügte sich zu einem Ganzen zusammen, das Jakob vollkommen in seinen Bann zog. Ihr Geschmack und ihre Ausdrucksweise hätten besser zu jemandem aus einer höheren sozialen Schicht gepasst als die, aus der Laura stammte. Stammen musste – sie sprach kaum über ihre Herkunft und ihre Familie. Aufgrund ihres ärmlichen Lebensstils vermutete Jakob, dass Laura aus der Arbeiterklasse oder verarmtem Bürgertum stammte. Vielleicht hatte sie sich bei wohlhabenderen Schulfreundinnen deren Sprache angeeignet, ihren Musikgeschmack an Stücken geschult, die sie bei den Arbeitgebern ihrer Eltern gehört hatte. Denn dass Laura aus so genannten höheren Kreisen stammte, hielt Jakob für ausgeschlossen. Wer würde in diesen turbulenten Zeiten freiwillig auf die Sicherheit eines gepflegten Heims verzichten? Welche Frau würde sich den Gefahren und Anfeindungen aussetzen, die ein so selbständiger Lebensstil mit sich bringen musste, noch dazu in Portugal?
Sobald er eine vernünftige Galerie für sie aufgetrieben hatte, würde er sie bitten, mit ihm zusammenzuziehen. Die Bruchbude, in der sie ihre Bilder bislang ausgestellt hatte, war ihrer Arbeiten nicht würdig, genauso wenig wie das schäbige Dachzimmer ihrer Liebe würdig war. Er würde außerdem versuchen, mehr Musikschüler zu akquirieren – gemeinsam würden sie sich dann schon eine kleine Wohnung leisten können. Nichts Besonderes und sicher keine in guter Lage, aber eine halbwegs begehbare Bleibe mit zwei Zimmern und einem eigenen Bad. Das käme dann einer ehelichen Lebensgemeinschaft schon sehr nahe – denn dass sie wirklich heirateten, mochte Jakob ihr gar nicht erst antragen. Seine falschen Papiere und seine provisorische Lebenssituation waren eine Zumutung.
Jakob bat Laura um einige der Arbeiten, die sie für besonders gelungen hielt, stellte mit ihrer Unterstützung eine Mappe zusammen und machte sich damit auf den Weg. Laura selber war das Klinkenputzen unangenehm, und sie empfand die Mappe als »katalogisiertes Stümpertum«. Ihm dagegen
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