So weit der Wind uns trägt
machte es überhaupt nichts aus, mit ihren Arbeiten, die er genial fand, hausieren zu gehen. Allerdings gestaltete sich seine Mission schwieriger, als er es sich vorgestellt hatte. Lissabon war nicht gerade die Welthauptstadt der Kunstszene, gute Galerien waren rar gesät. Die wenigen Galeristen, die Jakob für geeignet hielt, winkten alle ab. An jungen portugiesischen Künstlern bestünde kein Bedarf, hieß es. Derzeit weilten so viele berühmte Künstler aus Nordeuropa in der Stadt, dass man keine Veranlassung habe, sich damit abzuplagen, einen neuen Namen aufzubauen. Nachdem Jakob dieselbe Begründung zum fünften Mal gehört hatte, noch dazu von einem Mitarbeiter und gar nicht vom Galeristen selber, ging er nicht, wie zuvor, mit hängenden Schultern fort.
»Und wen wollen Sie ausstellen, wenn all die namhaften Künstler in die USA abgereist sind?«
»Ich glaube nicht, dass ich Ihnen Rechenschaft schuldig bin, junger Mann.«
Es hatte Jakob schon immer zur Weißglut getrieben, wenn ihn jemand »junger Mann« nannte. Doch er schluckte seinen Zorn herunter. Stattdessen fragte er mit größtmöglicher Höflichkeit und auf Deutsch: »Dürfte ich wohl einen Termin mit Ihrem Vorgesetzten vereinbaren?«
Der Mann zuckte nicht mit der Wimper. Er starrte Jakob einige Sekunden lang an, bevor sich sein missmutiges Gesicht zu einem wölfischen Grinsen verzog. »Selbstverständlich, werter Herr«, sagte er, ebenfalls auf Deutsch. »Doch ich glaube kaum, dass ihm diese Arbeiten mehr zusagen als mir.«
Nun war es an Jakob, den Mann sprachlos anzustarren. »Ist es das? Sind die Sachen nicht gut genug?« Er war so von ihrer Qualität überzeugt gewesen, dass ihm keine Sekunde lang der Gedanke gekommen war, die Arbeiten könnten nicht gut sein. Aber was verstand er schon davon? War seine Wahrnehmung vielleicht durch seine Liebe zu Laura getrübt gewesen?
»Oh, die Zeichnungen sind hübsch, keine Frage. Und sie zeugen von einem gewissen Talent. Aber es fehlt ihnen an … Tiefe. An Überzeugungskraft. Die Künstlerin muss noch sehr an sich arbeiten.«
»Ach, und wer sind Sie, dass Sie solche pauschalen Urteile fällen können?« Jakob fühlte sich persönlich getroffen. Dieses Männlein war anmaßend, überheblich und ganz und gar blind für die Kunst.
»Vielleicht ist es Ihnen ein Trost, wenn Sie wissen, dass ich früher Leute vom Kaliber eines Duchamp oder Ernst vertreten habe. Und ich kann Ihnen nur sagen: Die Künstlerin muss viel lernen. Hat sie den richtigen Lehrmeister, könnte eventuell etwas aus ihr werden.«
»Ach, und diese Lehrmeister laufen in Massen auf der Straße herum wie Zeitungsjungen, ja?«
Der Mann musterte Jakob mit spöttisch hochgezogener Braue und meinte lakonisch: »Ja.«
Eine Stunde später und um mehrere Adressen emigrierter Künstler reicher verließ Jakob die Galerie.
Lauras Unterricht bei Paul Adler wurde begleitet von einer Reihe depressiver Anfälle sowie einer winzigen Anzahl kurzer Glücksmomente. Der Maler war unerbittlich. Er ließ sie einen Finger so lange zeichnen, bis sie nicht mehr wusste, was ein Finger überhaupt war. Er brachte sie mit seinem Perfektionismus dazu, die Kunst zu hassen, und er lehrte sie, welche Kraft sich aus diesem Hass schöpfen ließ. Ein halbes Jahr lang arbeitete sie unter seiner Aufsicht und Förderung. Sie vergütete ihm den Unterricht damit, dass sie ihre Wohnung als Anlaufstelle und Kontaktadresse für Flüchtlinge bereitstellte sowie mit dem Versprechen, dass sie ihm, wenn sie erst zu Geld gekommen wäre, alles zurückzahlen würde. »Wie willst du je reich und berühmt werden, wenn du nicht einmal in der Lage bist, einen zerknitterten Geldschein zu zeichnen?«, hatte Paul gefrotzelt – und sie zu weiteren entnervenden Studien angetrieben.
Als ihr Lehrer endlich seine Passage nach New York ergatterte, verspürte Laura zu gleichen Teilen Erleichterung und Traurigkeit. Paul Adler hatte sie gequält, ja, doch damit hatte er auch das Beste aus ihr herausgekitzelt. Endlich sah sie,
weshalb
ihre früheren Arbeiten nicht gut waren – denn
dass
sie nichts taugten, hatte sie bereits vorher gewusst. Sogar Jakob erkannte, welchen Reifeprozess Laura als Künstlerin durchgemacht hatte. Er war sehr stolz auf sie. Zugleich machte er sich Sorgen um sie: Laura war stark abgemagert, hatte dunkle Schatten unter den Augen und wirkte so, als würde sie nach permanenter Erschöpfung demnächst zusammenbrechen.
Das würde sich legen, sagte Jakob sich. Er würde sie
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