Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
Vom Netzwerk:
und Geschick legendär waren. Er wollte so viel verdienen, dass er in nicht allzu ferner Zukunft einen eigenen kleinen Hof pachten konnte. Er wollte jeden Réis sparen, wollte die Türschwelle der Schenke nur übertreten, um seinen Vater heimzuschleppen, wollte sich weder von den Vergnügungen der Jugend noch von den politischen Debatten der Männer oder gar von den düsteren Prophezeiungen seiner Mutter in seiner Zielstrebigkeit bremsen lassen.
    Bei alldem hatte er es gelernt, seine unverminderte Liebe zu Jujú nicht mehr nach außen zu tragen. Seine Offenheit hatte ihm und ihr in der Vergangenheit nichts als Ärger gebracht. Doch Dona Gertrudes durchschaute ihren Sohn. »Solchen Hochmut bestraft der Herr. Du sollst dein Los hinnehmen und nicht nach den Sternen greifen. Was willst du mit einer Frau wie der kleinen Carvalho? Kann sie deine Hemden waschen, dein Essen kochen, das Haus weißeln?«
    Fernando wusste, dass sie recht hatte. Dennoch nahm seine Verbissenheit nur noch zu. Er würde es schaffen! Er wollte sich aus eigener Kraft aus der Fron und dem Elend der Besitzlosen befreien. Er würde alle Demütigungen herunterschlucken. Er würde sich auf keinen Fall einem Streik anschließen, auch wenn er insgeheim mit den Aufrührern sympathisierte. Zehn Réis für die Arbeit eines ganzen Tages, wer sollte davon menschenwürdig leben können? Man würde ihn ja doch nur ins Gefängnis werfen oder ihn von dem Land verjagen, das ihm nicht gehörte, das er aber als seines empfand. Nein, vorerst würde er nichts unternehmen, das seinen Aufstieg und seine Treffen mit Jujú gefährdete.
    Fernandos Rechnung ging auf, wenngleich es ihn viel Geduld gekostet hatte. Im Sommer des Jahres 1910 rief ihn der Verwalter der Carvalho-Ländereien zu sich.
    »Du bist ein tüchtiger Bursche.«
    »Danke, Senhor Felipe.« Fernando betrachtete unbehaglich seine staubigen Stiefelspitzen.
    »Dein Vater und deine Brüder taugen nichts, aber du bist anders.«
    Fernando wagte nicht, ihm zu widersprechen.
    »Du bist noch sehr jung, neunzehn, zwanzig?«
    »Zwanzig Jahre, Senhor Felipe.«
    »Bald großjährig, gut. Du bist klüger als alle anderen Männer hier. Und du schuftest wie zwei. Einer wie du könnte es noch weit bringen.«
    Fernando sah von seinen Stiefeln auf und hob fragend die Augenbrauen.
    »Ich möchte dich als meinen Stellvertreter einstellen.«
    Fernandos Herz klopfte bis zum Hals, doch er schwieg. Es war besser, abzuwarten, was der Verwalter ihm zu sagen hatte.
    »Ich selber kann mit meinem Rücken nicht mehr so viel über die Felder reiten. Die Disziplin verkommt.«
    »Ihr Sohn könnte Sie unterstützen«, warf Fernando ein. Es erschien ihm sonderbar, dass ausgerechnet er für diese verantwortungsvolle Position in Betracht gezogen wurde. Der Verwalter zog verächtlich die Mundwinkel nach unten, äußerte sich aber nicht weiter dazu. Fernando fand es sehr weitsichtig von ihm, und sehr tapfer, das Wohlergehen des eigenen, bekanntermaßen faulen Sohnes zugunsten des Wohles des Latifundiums zu opfern.
    »Was ist mit Humberto? Oder mit Tiago?«
    »Humberto ist ein sehr guter Arbeiter – aber er kann weder lesen noch schreiben oder rechnen. Und Tiago entwickelt sich zum Trunkenbold.«
    Diese Einschätzung teilte Fernando. Er nickte bedächtig. Was seine Kompetenz anging, hatte er nicht den geringsten Zweifel daran, dass er selber der Beste für die Position war. Aber würden die anderen ihn auch respektieren? Was würde Sebastião tun, wenn sein Bruder ihn zu größerer Schnelligkeit antrieb? Wie würden ihn die älteren Arbeiter behandeln, wenn er ihnen etwa mitteilen musste, dass der Tageslohn niedriger ausfiele als im letzten Jahr – was, so glaubte Fernando, sich unter einer umsichtigen Verwaltung und Bewirtschaftung leicht verhindern ließe? Und die Frauen, die auf den Feldern die leichtere Arbeit übernahmen, wie zum Beispiel das Markieren der nackten Stämme der Korkeichen mit der letzten Ziffer des Jahres, in dem die Bäume geschält wurden – würden sie ihn nicht belächeln?
    Felipe Soares schien Fernando anzusehen, was hinter dessen Stirn vorging. Er lächelte.
    »Noch bin ja ich der Verwalter. Du sollst meine rechte Hand werden. Und glaub mir: Wenn du erst einmal diesen Posten hast, dann werden die Leute dich auch mit dem nötigen Respekt behandeln. In spätestens einem halben Jahr wird niemand mehr etwas dabei finden, dass so ein junger Spund ihm vorgesetzt ist. Und du selber wirst auch in die Rolle hineinwachsen.« Die

Weitere Kostenlose Bücher