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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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jedem Tag. Sie war hässlich und strahlte Freudlosigkeit aus. Das einzige Vergnügen in ihrem altjüngferlichen Dasein war der Traum von einer Ehe mit João – und der setzte darauf, dass Senhor Carvalho ihm seine Tochter eines Tages aus schierer Verzweiflung zur Frau gab. Erführe Beatriz davon, dass ihr Geliebter ihr keineswegs treu ergeben war, sondern die Freizügigkeit Deolindas in vollen Zügen genoss, würde João sein Ziel, Schwiegersohn des José Carvalho zu werden, nie erreichen.
    »Außerdem«, setzte Fernando noch giftig hinzu, »bist du in Deolindas Gunst deutlich gesunken. Dieses Mädchen will einen erfolgreichen Mann – und ich scheine ihr ein besserer Kandidat zu sein als du. Jedenfalls umgarnt sie mich, dass mir schon ganz schwindlig davon wird …«
    »Du … du Bastard! Du Ausgeburt des Bösen! Ein Blick in deine Augen reicht, um zu sehen, was für ein Satan du bist!«
    »Und glaubst du etwa, dass sich in deinem Blick die Gnade des Herrn offenbart, Schielauge João?«
    Die Schlägerei, die João daraufhin begann, endete unentschieden: Die Kampfhähne wurden getrennt, bevor sie sich gegenseitig umbringen konnten.
    Am 6 . Oktober 1910 wurde die Republik ausgerufen.
    Das war das Zeichen, auf das Gertrudes Abrantes gewartet hatte. Das Ende der Monarchie, das von den meisten Männern in der
aldeia
frenetisch gefeiert wurde, erschien ihr wie ein Vorbote auf das Ende eines anderen Abschnittes, das Ende vielleicht sogar des Lebens eines ihrer Nächsten. Sie sollte recht behalten. Nach einem Trinkgelage stürzte ihr Mann so unglücklich, dass er sich aus eigener Kraft nicht mehr aufrichten konnte. Dies passierte in einer Dezembernacht, die kälter war als alle, an die man sich in der Gegend erinnern konnte. João Abrantes erfror.
    Das Leben im Hause Abrantes wurde immer unerträglicher. Zwar musste jetzt niemand mehr die Wutausbrüche des Vaters befürchten, zwar aßen sie regelmäßig Fleisch und weißes Brot, doch die Atmosphäre war bedrückend wie nie zuvor. Die Witwe Abrantes und Fernandos Schwester Maria da Conceição sahen in ihren Trauerkleidern wie Krähen aus, und ihre zunehmende Isolierung innerhalb der Dorfgemeinschaft entlud sich zuweilen in boshaftem Geschnatter. Sebastião war unmittelbar nach dem Tod des Vaters ausgezogen – ein Onkel seiner Verlobten besaß in Évora einen kleinen Krämerladen, in dem er eingestellt wurde. Fernandos älterer Bruder Manuel war mit seiner Frau und den mittlerweile drei Kindern nach Afrika, nach Angola, gegangen. Er hatte sich bei der Eisenbahn hochgedient und sollte nun beim Aufbau eines Schienennetzes in der Kolonie mithelfen. Somit war Fernando der einzige verbleibende Mann im Haus.
    Seine Chancen, in absehbarer Zukunft diesem tristen Dasein zu entfliehen, schwanden gen null. Zunächst musste Maria unter die Haube kommen, danach würde er seine Mutter eventuell bei Verwandten unterbringen können, die er natürlich für ihre »Nächstenliebe« entlohnen würde. Erst dann konnte Fernando seinen eigenen Weg gehen. Ah, Lissabon! Oder vielleicht sogar Brasilien?
     
    Das folgende Jahr jedoch brachte noch keine nennenswerte Veränderung mit sich. Den Acker pflügen, Weizen säen, mähen und dreschen, Korkeichen schälen, Wein lesen, Oliven ernten, Schafe scheren, Ziegen melken, Eselskarren instand halten, Ochsenhufe verarzten – das Leben bestand aus einer einzigen Abfolge von jahreszeitlich bedingten Pflichten und Lasten. Der sich immer wiederholende Zyklus von Kälte und Wärme, Hunger und Sattheit, Hoffnungslosigkeit und Freude trieb Fernando in seiner Monotonie in den Wahnsinn. Wollte er die nächsten sechzig Jahre das Gleiche tun? Wie hielten die Leute das aus? Rannten die Weiber deswegen so viel in die Kirche und die Männer in die Schankwirtschaften?
    Fernandos einziger Trost war der Rolls-Royce »Silver Ghost« von 1909 . Die Luxuslimousine war ein Meisterwerk der Automobilkunst, und Fernando liebte das Fahrzeug mit einer Intensität, die beinahe seiner Leidenschaft für Jujú gleichkam. Hätte seine Arbeit ihm die Zeit gelassen, so hätte er sich stundenlang mit dem Wagen beschäftigen können, zu dem er dank seiner Position und seines Rufs als
engenheiro
als einer von sehr wenigen Männern auf der Quinta Zugang hatte. Mit seinen sechs Zylindern und 48 PS brachte es das Gefährt auf stolze 80 Stundenkilometer – wenn die Straßenverhältnisse es erlaubten. Hier, auf den buckeligen und kurvenreichen Wegen des Alentejos, kroch das Automobil

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