So weit der Wind uns trägt
mit maximal 30 km/h durch die Landschaft. Nichtsdestoweniger hinterließ es dabei eine große Staubwolke und brachte die Pulks von zerlumpten Kindern, die dem Wagen hinterherrannten, zum Husten. Die technischen Details des Silver Ghost – seine doppelte Zündanlage mit Magnet und Zündspule, seine hinteren Dreiviertelelliptikfedern oder seine Konuskupplung – waren Fernando mehr Anlass zur Andacht als alle Wunder Christi zusammengenommen. Der teure Duft des Sitzleders, der Glanz der Armaturen und die Eleganz der Formen verleiteten ihn manchmal zu minutenlangem Innehalten. Allein das Trittbrett war anbetungswürdig, und über die schwungvoll gerundeten Kotflügel glitt Fernandos Hand in selbstvergessenen Momenten mit derselben Hingabe, mit der er Jujús Busen streichelte.
Seine Faszination für den Wagen entging auch José Carvalho nicht. Es belustigte den Patrão, zu sehen, mit welcher Begeisterung der junge Gehilfe seines Verwalters jede Aufgabe übernahm, die mit dem Automobil zusammenhing, und sei es nur, dass er das Leder mit Wachs geschmeidig reiben sollte. Dass Fernando jemals mit seiner jüngsten Tochter befreundet gewesen war, hatte er verdrängt. Anders ließ es sich wohl auch kaum erklären, dass er Fernando, nachdem Felipe Soares im Februar 1912 unerwartet einer Grippe erlegen war, zu sich rief.
»Ich brauche einen neuen Verwalter.«
»Ja, Senhor.«
»Kennst du einen Mann, der dieser Aufgabe gewachsen wäre?«
»Im Moment fällt mir niemand ein, Senhor.«
»Mir schon. Ich will, dass du den Posten übernimmst. Traust du dir das zu?« Im Grunde war es José Carvalho gleichgültig, ob Fernando Abrantes sich die Arbeit zutraute. Er wusste, dass der Bursche das Zeug dazu hatte. Felipe hatte ihm oft genug erzählt, wie strebsam und verantwortungsbewusst Fernando war. Und am eigenen Geldbeutel hatte José Carvalho es ebenfalls schon gespürt. Das Bewässerungssystem, das Fernando sich ausgedacht hatte, hatte die Erträge im vergangenen Jahr deutlich gesteigert. Der Junge kannte jeden Quadratzentimeter seiner Ländereien – und würde außerdem viel weniger kosten als ein erfahrenerer Mann von außerhalb.
»Ja.« Fernando sah dem Patrão fest in die Augen. »Danke.«
Als Fernando an diesem Abend nach Hause kam, strahlte er über das ganze Gesicht. Der Stolz darauf, mit gerade einmal 22 Jahren als Verwalter eingesetzt zu werden und damit sämtliche entsprechenden Altersrekorde zu schlagen, war ihm überdeutlich anzusehen. Doch die Freude währte nicht lange.
Seine Ankündigung, sie würden in Kürze in das Verwalterhaus ziehen, das viel größer und komfortabler war als ihres, wurde mit Stirnrunzeln aufgenommen. Fernando blickte enttäuscht in das verhärmte Gesicht seiner Mutter. Dann sah er seine Schwester an, in deren engelsgleichem Antlitz er erste Spuren von Verbitterung auszumachen glaubte. Musste sie unter der Vereinsamung, die er seiner Familie aufgebürdet hatte, so sehr leiden? Aber nein, was bildete er sich da nur wieder ein? Conceição war wunderhübsch, ein Bild mädchenhafter Unschuld, und an Verehrern würde es ihr gewiss nicht mangeln.
»Wir können nicht in das Verwalterhaus ziehen«, schleuderte sie ihrem Bruder nun entgegen. »Wie kannst du so etwas auch nur in Betracht ziehen? Willst du das Andenken an deinen Vater beschmutzen? Hier, in diesem bescheidenen Haus, lebt er fort, in jeder Holzdiele, die er verlegt hat, in dem Haussockel, den er blau gestrichen hat, oder in dieser Kachel am Kamin, die er dort angebracht hat.«
Fernando war fassungslos, fing sich jedoch schnell wieder. Er verzichtete darauf, zu erwähnen, dass er selber die Bodendielen und die Azulejos über dem Kamin verlegt hatte. »Wenn es so ist, meine liebe Schwester, dann, so fürchte ich, musst du mit Mutter in die Schenke ziehen. Dort wird er sicher noch mehr Spuren seines irdischen Wirkens hinterlassen haben.«
An einem stürmischen Apriltag, zwei Monate nach diesem Streit, zog die Familie in das Verwalterhaus. Als sie wenige Tage später von der Tragödie erfuhren, die sich just in jener Nacht, der des 14 . auf den 15 . April 1912 , ereignet hatte, glomm ein boshaftes Funkeln in den Augen seiner Schwester auf, ganz so, als fühle sie Genugtuung darüber, dass über dem Einzugsdatum ein so schwerer Schatten lag. »Du wirst auch untergehen – genau wie die Titanic«, verkündete Maria da Conceição ihrem Bruder.
»Mit euch an Bord ganz sicher«, konterte er.
Seine Mutter bekreuzigte
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