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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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sich – bis sie beide schließlich lauthals lachten.
    »Ich habe Papás scheußlichen Medronho ausgespuckt!«
    »Ja, und Rui hat dir die Reste aus den Mundwinkeln gewischt wie einem Baby!«
    Die beiden lachten Tränen und feuerten ihren hysterischen Anfall mit weiteren Erinnerungsfetzen von alten Torheiten und Jugendsünden an. Doch den Rest der Unterhaltung zwischen seiner Mutter und Tante Mariana bekam Paulo nicht mehr mit. Er verließ auf Zehenspitzen seinen Horchposten. Ihm reichte vollkommen, was er gehört hatte.
    Er verpasste, wie der kleine Ricardo, von dem Gelächter angelockt, das bis in den Garten zu hören war, in das Zimmer kam.
    »Oma?«
    Er verpasste auch, wie Jujú und Mariana gleichzeitig »Ja?« erwiderten.
    Und genauso verpasste er, wie seine Großmutter fluchtartig den Raum verließ, um sich in ihrem eigenen Zimmer darüber auszuheulen, dass ihr angebeteter Enkelsohn nicht sie, sondern Mariana als seine »richtige« Oma betrachtete. Doch in ihrem Zimmer erwartete Jujú der nächste Schreck. Sie konnte sich nicht einfach aufs Bett werfen und ihren Tränen freien Lauf lassen. Ihr Ehemann lag darin. Leider auch nicht der »richtige«.

33
    G eneralmajor a.D. Miguel António Alves Ferreira konnte dem Alter wenig abgewinnen. Weisheit? Lebenserfahrung? Güte? Was hatte man davon, wenn alle um einen herum starben, wenn man immer einsamer und als Pensionär von niemandem mehr ernst genommen wurde? Wenn einem, fast taub und halb blind, nicht einmal mehr das Fliegen möglich war? Selbst Abrantes, der ihn gelegentlich zu einem Flug eingeladen hatte, schien sich von seinem einstigen Förderer abgewandt zu haben, was allerdings mehr auf einen Mangel an Zeit denn auf mangelnde Dankbarkeit zurückzuführen war. Der Knabe mischte jetzt auf internationaler Ebene mit, als militärischer Berater oder weiß der Teufel was, seit Portugal im April 1949 zusammen mit elf weiteren Staaten den Nordatlantikvertrag unterzeichnet hatte.
    Seit Ferreiras Ehefrau verschieden war und seine Kinder sich mehr für ihre eigenen Kinder als für ihn interessierten, bot ihm das Leben nur noch einen einzigen Lichtblick: hübsche, junge Frauen. Der Generalmajor a.D. war sehr stolz darauf, dass er mit seinen 72  Jahren zwar nicht mehr gut sehen und hören konnte, auch nicht mehr viele eigene Zähne hatte, in anderer Hinsicht aber noch in Saft und Kraft stand. Er konnte den Frauen durchaus noch Lust schenken, von anderen kleinen Geschenken und Zuwendungen ganz abgesehen. Und so kam es, dass der Generalmajor a.D., nach einem an beruflichen und amourösen Erfolgen reichen Leben, in den weißen, weichen Armen einer üppigen Dame namens Lucinda starb. Das geschah um zwei Minuten vor Mitternacht, in einem Augenblick höchster Verzückung. Es stürzte die junge Frau in große Bedrängnis und erfüllte den Generalmajor a.D. mit tiefer Befriedigung. Konnte es, war sein letzter Gedanke, einen schöneren Tod geben?
     
    Miguel António Alves Ferreiras Begräbnis fiel auf denselben Tag, an dem Fernando Abrantes sich in Paris mit hochrangigen Vertretern der anderen NATO -Länder zu einer Besprechung treffen sollte, die den Aufbau einer gemeinsamen Streitmacht zum Inhalt hatte. Fernando bedauerte es außerordentlich, dem Mann, der ihm über so viele Jahre Freund und Förderer gewesen war, nicht die letzte Ehre erweisen zu können. Aber, sagte er sich, Ferreira hätte wahrscheinlich gewollt, dass er die Interessen der Lebenden über die der Toten stellte. Er würde dem Grab nach seiner Rückkehr aus Paris einen Besuch abstatten und dann, allein und in Ruhe, seiner Trauer Ausdruck verleihen.
    Von Ruhe konnte allerdings keine Rede sein, als Fernando aus Paris zurückkehrte. Er war, zu seiner eigenen Überraschung, zum Vorsitzenden des Militärausschusses des Nordatlantikrates gewählt worden – was einen Umzug nach Paris erforderte. Elisabete war in heller Aufregung. Sie freute sich, dass sich ihr jetzt, da vier ihrer Kinder aus dem Haus waren, neue Perspektiven boten. Mit Feuereifer stürzte sie sich in die Umzugsvorbereitungen sowie die Auswahl einer namhaften Schule für ihren jüngsten Sohn, den sechzehnjährigen Alberto. Der Junge selber nahm die anstehenden Veränderungen mit großer Gelassenheit hin, was seinen Vater in der Vermutung, sein Sohn sei ein Phlegmatiker durch und durch, nur bestätigte. Alberto hielt es nicht für nötig, seinen Vater vom Gegenteil zu überzeugen. Er freute sich ebenfalls auf Paris, und er hatte viele Pläne, die

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