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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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des Nordatlantikrates vorzusitzen. Es wurden in dem Artikel weiterhin die glanzvolle Karriere des Mannes sowie sein vorbildliches Familienleben skizziert. Ha! Vorbildlich mochte es wohl sein, das ehebrecherische Treiben des heldenhaften Generals, dachte Paulo. Ihm selber waren solche Männer gern ein Vorbild. Aber das war es wohl kaum, was der Verfasser des Artikels gemeint hatte.
    Paulo studierte wieder und wieder das Foto, doch er kam jedes Mal zu demselben Schluss: Kein Zweifel, das war der Mann auf dem Bild, das er vor vielen Jahren seiner Mutter stibitzt hatte – derselbe Mann, der früher regelmäßig zu Besuch in die Rua Ivens gekommen war und dessen vollständigen Namen er nie erfahren hatte. Paulo wusste nicht einmal mehr, wo er das Foto aufbewahrte. Aber weggeworfen hatte er es auf keinen Fall, daran würde er sich erinnern. Wahrscheinlich lag es irgendwo in dem Karton mit Büchern, Fotoalben und gesammelten Briefen, den er nach seiner Hochzeit und dem Umzug nach Lissabon auf dem Dachboden verstaut hatte und an den er wahrscheinlich nie mehr einen Gedanken verschwendet hätte – wäre da nicht dieser Zeitungsartikel gewesen.
    Als er, vor gar nicht allzu langer Zeit, beim Belauschen eines Gespräches zwischen seiner Mutter und Tante Mariana erfahren hatte, dass ein gewisser Fernando Lauras Vater war, war Paulo zwar entzückt, aber kein bisschen schlauer als zuvor gewesen. Doch jetzt fügten sich alle Teile des Puzzles zu einem klaren Bild. Fernando Abrantes war der Liebhaber seiner Mutter gewesen – offenbar über viele Jahre hinweg. Zwischen der Zeugung Lauras und besagter »Kur« lagen sicher zwölf Jahre, rechnete Paulo aus. Wer weiß, vielleicht waren die ehrbare Dona Juliana und der vorbildliche Senhor Fernando immer noch ein Liebespaar? Aber nein, in ihrem Alter war man über gewisse körperliche Bedürfnisse wahrscheinlich hinweg. Dennoch beschloss Paulo, dem hochdekorierten General einen Besuch abzustatten, und zwar möglichst bald, bevor er sich nach Paris absetzte.
     
    Der Sekretär von General Abrantes staunte nicht schlecht, als sich zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren ein Neffe seines Vorgesetzten meldete. Es schien ihm eine ungeheure Häufung von Neffen zu sein, nachdem in den fünfzehn Jahren zuvor, das heißt während seiner gesamten Zeit in den Diensten des Generals, kein einziger seine Aufwartung gemacht hatte.
    »Herr General, da ist ein junger Mann, der Sie zu sprechen wünscht«, meldete er den Besucher an und fügte, um jedem Versuch des Abwimmelns zuvorzukommen, gleich hinzu: »Er sagt, er sei Ihr Neffe.«
    Fernando verdrehte die Augen und fühlte sich fatal an jenen Tag erinnert, an dem Ronaldo hier aufgekreuzt war.
    »So, so. Na, dann lassen Sie ihn vor.«
    Als Paulo eintrat, blieb Fernando äußerlich völlig ruhig. Doch innerlich war er fassungslos. Er kannte den Jungen, oder besser den jungen Mann, der Paulo jetzt war, von den Fotos, die Jujú ihm gezeigt hatte. Er kannte ihn ebenfalls aus ihren Erzählungen, und obwohl er wusste, dass Jujú die unvorteilhaftesten Dinge verschwiegen hatte, war ihm klar, dass der Bursche keinen Charakter hatte. Aber er durfte sich weder seine Aversion noch überhaupt ein Wiedererkennen anmerken lassen. Offiziell kannte er den jungen Mann gar nicht.
    Er hob fragend den Kopf. Aus seiner Geste sprach extreme Überheblichkeit sowie die jahrelange Übung darin, andere seine Dominanz spüren zu lassen. Aber der junge Mann ließ sich davon nicht einschüchtern.
    »Guten Tag, General«, sagte er in selbstbewusstem Ton, »mein Name ist Paulo da Costa, und ich bin natürlich nicht Ihr Neffe. Es erschien mir nur die erfolgversprechendste Methode, zu Ihnen vorgelassen zu werden.«
    »Schön. Würden Sie mir jetzt, da Sie Ihr Ziel erreicht haben, erklären, was dieser faule Zauber zu bedeuten hat? Und zwar in möglichst wenigen Worten, meine Zeit ist äußerst begrenzt.«
    »Sehr gern. Ich bin der Sohn Ihrer Geliebten, Dona Juliana da Costa. Insofern bin ich also tatsächlich so etwas Ähnliches wie ein Neffe, nicht wahr?«
    »Wie kommen Sie dazu, derartige Behauptungen aufzustellen? Ich darf Sie bitten, mein Büro sofort zu verlassen.«
    »Oh, bitten dürfen Sie. Ich gedenke allerdings nicht, Ihrer Aufforderung Folge zu leisten.« Damit zog Paulo ein Foto aus der Innentasche seines Jacketts und legte es vor Fernando auf den Schreibtisch. »Das sind Sie und meine Mutter anno 1928 in Cannes, wie die Bildunterschrift dankenswerterweise

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