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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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wenig, wenn sie so ein Brimborium um Ricardos Geburtstage machte – womit sie, dessen war sie sich deutlich bewusst, nur ihren eigenen Mangel an solchen Festen kompensierte. Aber ihr Sohn sollte nie das Gefühl haben, dass man ihn und seinen Ehrentag nicht ernst nahm. Lieber engagierte sie hundert Zauberer zu viel als einen zu wenig. Der Junge hatte es eh schon schwer genug.
    Dass ihre eigenen Eltern keinen Geburtstag ihres Enkelkindes ausließen, bewies Laura nur, dass sie ihre elterlichen Versäumnisse ihr gegenüber nun als Großeltern wieder ausbügeln wollten. Der 7 . Juni war praktisch der einzige Tag im Jahr, an dem sich die ganze Familie einmal wiedersah. Ihr Vater würde mit dem Wagen nach Lissabon fahren, dort ihre Mutter und Paulo einsammeln und gemeinsam mit ihnen hierherkommen. Sie würden allen anderen Normalität vorgaukeln, um am nächsten Tag abzureisen und wieder getrennte Wege zu gehen. Und sosehr Laura diese Posse missfiel – um Ricardos willen konnte es ihr nur recht sein.
    Als die da Costas eintrafen, spielte Ricardo mit einer Horde von Kindern im Garten. Man rief ihn zum Haus, um die Ankömmlinge zu begrüßen, und schweren Herzens riss er sich von dem Spiel los. Er hasste diese Abknutscherei und ließ sie nur unwillig über sich ergehen. Einzig von
tio
Paulo, von dem Mamã behauptet hatte, er würde stinken, ließ Ricardo sich ein bisschen länger herzen. Doch er roch nichts außer einem Parfüm.
    Wenig später kam auch Felipe, den Laura den anderen Erwachsenen als ihren Verlobten vorstellte. Paulo hob skeptisch eine Augenbraue, aber Laura ignorierte ihn. Der arme Alberto Baião, der sie noch immer verliebt anschaute, obwohl er seit Jahren eine eigene Familie hatte, fiel aus allen Wolken, riss sich jedoch zusammen. Ihre Eltern enthielten sich zum Glück jeden Kommentars – es wäre Laura unsagbar peinlich gewesen, wenn ihr Vater den armen Felipe mit Fragen gelöchert hätte, wie er sie vielleicht einem Bräutigam gestellt hätte, als sie noch jünger war. Aber kein »junger Mann, können Sie eine Ehefrau überhaupt ernähren?« oder Ähnliches kam Rui da Costa über die Lippen. Er war in Gedanken bei einem Tag im Jahr 1915 .
    Auch Jujú erinnerte sich. Es war heiß gewesen. Sie war mit Rui auf die Veranda gegangen, auf ausdrücklichen Wunsch ihrer beider Mütter. Sie hatten Gefallen aneinander gefunden. Sie hatten den Sonnenuntergang bestaunt und die Landschaft. An den spektakulären Sonnenuntergängen und an der idyllischen Landschaft hatte sich nichts geändert. Nur sie selber hatten nichts mehr gemein mit jenen jungen, hoffnungsvollen Leuten, die an genau dieser Stelle an einem ganz ähnlichen Tag wie heute einst einen von den Eltern herbeigeführten Flirt gehabt hatten.
    Heute saßen sie hier zusammen mit den anderen Erwachsenen, tranken Cocktails aus Strohhalmen und sahen den Kindern beim Spielen zu. Es war eine Szene, die großen Frieden ausstrahlte, mit den Bienen, die von den süßen Drinks angelockt worden waren, mit dem Gebäck und den salzigen Knabbereien, die auf der weißen Tischdecke standen und diese am Wegfliegen hinderten, mit den Menschen im Sonntagsstaat und mit den Resten von Geschenkpapier und Schleifen, die auf der Erde lagen und in eine Ecke gepustet worden waren. Es war böig. Manchmal wurde auch ein Zipfel des Tischtuchs nach oben geweht und drohte ein Glas umzuwerfen. Aber es passierte nichts, und alle waren froh über den Wind. Er ließ sie die Sommerhitze nicht so spüren.
    Ein besonders kräftiger Windstoß ließ plötzlich Strohhalme und Papierschirmchen aus verschiedenen Gläsern fliegen. Sie lachten darüber. Und noch bevor sie einem Angestellten den Auftrag hätten erteilen können, die Strohhalme aus dem Blumenbeet zu angeln, erledigten dies die Kinder. Die Mädchen schnappten sich sofort die Schirmchen und schoben sie sich hinter die Ohren wie einen exotischen Haarschmuck. Octávia mochte nichts sagen, dachte aber mit Grauen an die verklebten Haare, die dieses Accessoire hinter den Ohren ihrer Sílvia hinterlassen würde.
    Ricardo sammelte zwei Strohhalme auf und betrachtete sie nachdenklich. Keiner beachtete den Jungen, der sich mit seiner Beute mitten in das Beet pflanzte und anfing, etwas zu basteln. Zwischendurch sprang er auf, las unter dem Feigenbaum einige schöne, große Blätter auf und zupfte ein paar Grashalme aus. Dann setzte er sich wieder hin und baute mit viel Geduld und Phantasie einen Flieger. Die Strohhalme bildeten die Längsachse

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