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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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natürlich wusste Ronaldo, dass sein ausbleibender Erfolg daran nicht ganz unschuldig war. Dennoch konnte er nicht umhin, seinen Unmut an der Tante auszulassen. Erst hatte er ihr keine Blumen mehr mitgebracht. Dann war er der Wohnung immer öfter ferngeblieben. Schließlich hatte er sich nicht einmal mehr die Mühe gemacht, Sorge um sie vorzutäuschen. Vollkommen offen hatte er ihr seinen Abscheu gezeigt, vor ihren verkrümmten Fingern, ihrem säuerlichen Altweibergeruch, ihren merkwürdigen Bauernkleidern und ihrer Manie, die ganze Wohnung mit Kruzifixen, Madonnenstatuen und Fátima-Devotionalien zu dekorieren. Am schlimmsten war, dass seine kleinen Gemeinheiten und spitzen Bemerkungen an ihr abprallten wie ein Gummiball von einer Betonmauer. Sie schien wild entschlossen, ihn wie einen Sohn zu lieben und all seine Verfehlungen hinzunehmen. Manchmal überkam Ronaldo eine so große Lust, der alten Ziege einfach eine reinzuhauen, dass er zu seinem eigenen Schutz fluchtartig davonrennen musste. Solange er von der Mildtätigkeit des Generals abhängig war, konnte er sich solche Entgleisungen nicht erlauben. Aber was sollte er machen? Eine eigene Wohnung konnte er sich nicht leisten, eine reiche Braut war auch nicht in Sicht.
    Mit ein wenig Glück jedoch würde sich heute alles ändern. Ronaldo fuhr sich mit den Fingern durch sein glänzendes schwarzes Haar. Es durfte ruhig ein bisschen strubbelig sein, das verlieh ihm ein jungenhafteres Aussehen. Er hatte keine Lust, schon auf die Rolle des alternden Liebhabers festgelegt zu werden, bevor es richtig losgegangen war. Er wurde bald dreißig, als jugendlicher Rebell war er bereits nicht mehr perfekt geeignet. Er betrachtete sich unauffällig in der Spiegelwand des Cafés.
Okay
, dachte er. Alles bestens. Er sah blendend aus, wie immer. Die Ringe unter seinen Augen hatte er geschickt abgedeckt. Es hatte eben doch ein paar Vorteile, wenn man im Umgang mit Schminke geübt war. Und das war er, auch wenn er jahrelang nur als Komparse gearbeitet hatte. Er sah auf seine Armbanduhr, ein Geburtstagsgeschenk von Tante Maria da Conceição. Die dumme Pute hatte wahrscheinlich die Ersparnisse ihres Lebens dafür hergeben müssen, denn die Uhr war ein Schweizer Markenfabrikat. Ronaldo stellte fest, dass ihm noch ein paar Minuten blieben, bevor seine Verabredung eintreffen sollte. Er winkte den Kellner herbei und bestellte noch einen
bagaço
. Schnaps half gegen Nervosität. Am Nebentisch saßen zwei junge Mädchen, die ihn ungeniert anglotzten und kicherten. Wie die erst kichern würden, wenn er groß herauskam, wenn er berühmt war! Er zwinkerte den Mädchen zu. Dieses Zwinkern hatte er Tausende Male angewandt, es hatte seinen Zweck noch nie verfehlt. Die Weiber rannten ihm in Scharen nach. Leider nur die falschen.
    Nachdem er sich vergewissert hatte, dass er die erwünschte Wirkung erzielt hatte, nämlich staunendes, ungläubiges Lächeln –
was, der meint wirklich mich?!
 –, wandte er sich wieder der verglasten Eingangstür zu. Er beobachtete die Leute, die draußen in der Frühlingsluft vorbeiflanierten, die Kinder, die ihre Nasen an der Vitrine des Cafés plattdrückten, wo die schönsten Confiserien präsentiert wurden, sowie die Mütter, die sie ungehalten am Arm nahmen und weiterzerrten. Er beobachtete den Tabakqualm, der in der schräg einfallenden Sonne bizarre graue Muster in die Luft malte, und er musterte zwischendurch immer wieder sich selbst. War sein Hemd nicht zu weit geöffnet, sondern gerade weit genug, um ihm einen verwegenen Anstrich zu geben? War die Lederjacke nicht ein wenig übertrieben, vor allem angesichts der Jahreszeit? Standen ihm etwa schon Schweißperlen auf der Oberlippe? Aber nein, er sah gut aus – eine exotische und etwas erwachsenere Variante von James Dean. In einem der Kinos auf der Avenida da Liberdade lief
Giganten
, und Ronaldo hatte sich den Film schon so oft angesehen, dass er ihn auswendig konnte. Er fand, dass er einen würdigen Nachfolger für den Hollywoodstar abgeben würde. Wenn man ihm nur eine Chance gäbe!
     
    In den Tälern und über den Flussauen waberte dichter Nebel. Milchig, weiß, mystisch. Darüber erhoben sich majestätisch die Berge. Die Weinblätter hatten sich gelb und rot verfärbt. Von der Morgensonne angestrahlt leuchteten die nach Osten gelegenen Hänge wie kostbare Juwelen. Der Nebel zu ihren Füßen wirkte wie der weiße Satin einer Schatulle, in den ein wertvolles Schmuckstück eingebettet war. Der Himmel war

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