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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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veranstalten, aber was für ein Fest soll das werden, wenn der Plattenspieler nicht läuft? Der Teller dreht sich im falschen Tempo, es ist nicht auszuhalten.« Dona Joana verdrehte die Augen in übertriebener Verzweiflung. »Ich spiel’s dir mal vor.« Sie legte eine Schallplatte von einem alentejanischen Bauernchor auf, und diesmal war es an Ricardo, die Augen zu verdrehen. Wer hörte sich denn freiwillig solche Musik an? Tatsächlich drehte der Teller sich zu langsam, so dass das Gejaule noch qualvoller klang als ohnehin schon.
    »Tja«, sagte Ricardo nur. Seine Wortkargheit wurde von den meisten Leuten als jugendliche Befangenheit ausgelegt. Ricardo sah Dona Joana deutlich an, was sie dachte, denn es unterschied sich kaum von dem, was offenbar alle Erwachsenen in ihm sahen – einen verwahrlosten Bastard und Pickeljungen, der nichts lieber tat als basteln und der dankbar sein konnte für jede Art von Beschäftigung. Er hob die Schultern, als könne er da auch nichts machen.
    »Ricardo«, rief sie, und ihre Stimme war kurz davor, sich zu überschlagen, »du
musst
dir etwas einfallen lassen!«
    »Erst
muss
Ihr Mann mir die 200 Escudos zahlen, die er mir für April zugesagt hatte. Mit Zinsen wären das inzwischen, wenn man denselben Satz zugrunde legen würde wie die Bank, genau 204 Escudos. Aber ich will ja nicht so sein.«
    »Ach du liebes bisschen, du wirst doch jetzt nicht wegen so ein paar Kröten einen Aufstand machen wollen.«
    Ein paar Kröten? Wenn ihr der Betrag so geringfügig erschien, warum zahlte sie ihn dann nicht einfach? Ihm wären 200 Escudos im Augenblick mehr als willkommen.
    »Nein«, erwiderte er, und Dona Joana schien Schwierigkeiten damit zu haben, sich zu erinnern, welche Frage er damit beantwortete.
    »Also, ich schlage vor, Sie geben mir einfach die 200 vom letzten Mal, dazu noch 100 dafür, dass ich mich des Plattenspielers annehme, das alles bar auf die Hand – und Ihre Feier kann steigen.«
    »Das ist ja Erpressung!«, ereiferte sich Dona Joana.
    Ricardo hob die Brauen, als hielte er die Äußerung der Dame für unglaublich dumm, was er auch tat.
    »Na dann«, sagte er und wollte gehen.
    »Das kannst du doch nicht machen! Bleib gefälligst hier!«
    Ricardo stand bereits an der Tür. Mit einer angedeuteten Verbeugung, in der mehr Spott als Ehrerbietung lag, verabschiedete er sich. Er wandte sich abrupt um und wäre beinahe mit einem jungen Mädchen zusammengeprallt, das in diesem Augenblick im Flur auftauchte.
    »Oh … äh, Verzeihung«, stammelte er.
    »Nein, es war meine Schuld. Ich hätte nicht so schnell um die Ecke kommen sollen«, sagte das Mädchen. »Aber ich habe meine Tante irgendetwas rufen hören, ich dachte, sie wollte vielleicht etwas von mir.«
    Ricardo war plötzlich wie gelähmt. Hatte er noch Sekunden zuvor entschlossenen Schrittes das Haus verlassen wollen, so stand er nun wie angewurzelt auf der Stelle und glotzte das Mädchen an. Es war hübsch. Es war ausnehmend hübsch.
    »Ich bin übrigens Marisa«, sagte sie. Ricardo war sich nicht sicher, ob er sich die leichte Röte, die ihre Wangen überzog, nicht nur einbildete.
    »Ich bin Ricardo, oder Rick.« Er hatte sich nie zuvor Rick genannt, aber jetzt erschien es ihm auf einmal ratsam, sich mit einem amerikanisch anmutenden Namen vorzustellen.
    »Hi, Rick.« Ihr englisch rollendes »r« klang ganz danach, als hätte sie Übung im Gebrauch der Fremdsprache. Sie grinste ihn an, und Ricardo fühlte sich ertappt. Statt jedoch, wie er es sonst vielleicht getan hätte, peinlich berührt auf seine Schuhspitzen zu starren, schaute er ihr unverwandt ins Gesicht. Sie hatte die niedlichste Sommersprossennase, die er je gesehen hatte.
    Ricardo war so hingerissen von Marisa, dass er nicht merkte, wie sich hinter ihm die Tür öffnete und Dona Joana im Rahmen erschien.
    »Was treibst du dich noch hier herum, du Taugenichts?«, fuhr sie ihn an. »Wir brauchen dich nicht mehr. Ich werde einen Fachmann rufen, wie ich es von vornherein hätte tun sollen. Und deinem Onkel Inácio werde ich demnächst mal erzählen, was du für ein Lump bist. Den Pick-up überlässt er dir dann bestimmt nicht mehr.«
    Marisa sah fragend zwischen ihrer Tante und Ricardo hin und her.
    Ricardo zuckte mit den Achseln. »Wie Madame belieben.« Dass der alte Zé ihr allein für die Reparatur des Plattenspielers das Dreifache dessen berechnen würde, was sie ihm, Ricardo, schuldete, erwähnte er nicht. Genauso wenig sagte er ihr, dass der alte Zé ihr

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