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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Sonnenbrille, mit der sie erwachsener aussah.
    Sie fuhr direkt auf den Brunnen zu und hielt etwa einen Meter vor Ricardo. »Hi, Rick«, sagte sie. Seine Freunde stießen sich die Ellbogen grunzend in die Rippen. »Hallo«, setzte sie hinzu und nickte den beiden anderen Jungen zu. Sie schob sich ihre Sonnenbrille ins Haar und sah Ricardo durchdringend an. Er hätte sterben können, so süß fand er sie. Die Sonne zauberte goldene Pünktchen in ihre braunen Augen, die sie zusammenkniff. Ihre Nase kräuselte sich dabei.
    »Meine Tante hat mir alles erzählt, was passiert ist.«
    »Glaube ich nicht.«
    »Na ja, nicht alles. Den Rest habe ich mir selber zusammengereimt. Sag, wie viel schulden sie dir?«
    »Was geht dich das an?«
    »Ich werde dafür sorgen, dass sie dich bezahlen.«
    »
Rick
«, rief Joaquim mit weiblich verstellter Stimme, »müssen jetzt schon kleine Mädchen für dich Geld eintreiben?«
    »Halt die Fresse, Mann«, schnauzte er ihn an. Zu Marisa sagte er, in nur geringfügig freundlicherem Ton: »Das brauchst du nicht. Ich sorge schon selber dafür.«
    »Hm. Wie du meinst.« Unentschlossen blieb sie vor dem Grüppchen stehen, noch immer mit dem Fahrrad zwischen ihren Beinen. »Also dann …
adeus.
« Damit gab sie sich einen Ruck, setzte einen Fuß auf ein Pedal und stieß sich mit dem anderen kräftig ab.
    »He, warte«, rief Ricardo.
    Marisa hielt an.
    »Danke.«
    »Wofür?«
    Ricardo zuckte mit den Achseln. »Nur so. Ähm … hättest du nicht Lust, am Samstag zu dem Dorffest in Vila Seca zu kommen? Es geht da immer ziemlich hoch her.«
    »Ich weiß nicht. Mal sehen. Tja, ich muss jetzt los.« Sie winkte ihm zu und radelte davon, mit wippendem Pferdeschwanz und einem verheißungsvollen Lächeln auf den Lippen.
    Joaquim und Manuel bestürmten Ricardo mit Fragen zu der
Stadttrulla
, aber Ricardo war wie weggetreten. Der Blick, den sie ihm zum Abschied zugeworfen hatte, war ihm so vielversprechend erschienen, dass er schon an seinem eigenen Verstand zu zweifeln begann. Allerdings glaubte Ricardo, darin auch eine Spur Mitleid ausgemacht zu haben, was ihn ausnahmsweise nicht sonderlich irritierte. Denn wenn sie ihn wirklich bemitleidete, dann höchstens wegen seiner Lebensweise. Das konnte er verschmerzen – sie war schließlich nur ein verwöhntes Stadtmädchen, dem er sich weit überlegen fühlte, nicht zuletzt
wegen
seiner unkonventionellen Art zu leben. Auf keinen Fall jedoch hatte sie den Eindruck erweckt, als störte sie etwas an seinem Aussehen. Nein, sie hatte ihm, gerade eben genau wie heute Nachmittag bei ihrer ersten Begegnung, ohne jede Spur von Ekel ins Gesicht gesehen, als gäbe es darin nicht einen einzigen Pickel. Er seufzte gedankenverloren. Wenn es eine einzige Sache gab, derentwegen er nicht bemitleidet werden wollte, dann waren es seine
Riesenkomedone
, von denen er einen gerade wieder aufgekratzt hatte.

36
    W ie satt er es hatte, bei der Tante zu wohnen! Wie überdrüssig er der permanenten Bemutterung durch diese Frau war, die weder seine Mutter war noch ihm irgendetwas zu sagen hatte! Wie leid er es war, dass er immerzu den braven Neffen geben musste! Er war ein erwachsener Mann und konnte nicht einmal weibliche Bekanntschaften mit nach Hause nehmen. Genauso wenig konnte er nach Herzenslaune rauchen, trinken, Karten spielen oder ähnliche Dinge tun, an denen Männer nun einmal Spaß hatten. Wenn er bedachte, dass er sich damals aus freien Stücken in diese unerträgliche Abhängigkeit von der Familie Abrantes begeben hatte, wurde ihm übel. Es war, salopp ausgedrückt, zum Kotzen.
    Fernando Abrantes hatte vor zehn Jahren die glorreiche Idee gehabt, dass er, Ronaldo Silva, und Maria da Conceição eine Wohnung teilen konnten. Ja, das hatte er schlau eingefädelt, der alte General. So war er sowohl seine Nervensäge von Schwester als auch den unerwarteten Verwandten aus Brasilien mit einem Schlag los, ohne sein Gewissen zu sehr belasten zu müssen und ohne irgendjemanden dem Vorwurf eines unschicklichen Lebenswandels auszusetzen. Eine ältere Frau, die mit ihrem Neffen zusammenlebte, war gegen jeden Verdacht gefeit – und ein junger Mann, der bei seiner Tante lebte und sich um diese kümmerte, konnte nur ein braver Kerl sein. Abrantes zahlte die Miete, die bucklige Verwandtschaft ließ ihn in Frieden. Es war eine für alle Beteiligten befriedigende Lösung gewesen – bis Ronaldo angefangen hatte, Maria da Conceição zu verabscheuen.
    Es war ganz langsam passiert, und

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