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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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sogar wahrscheinlich ein nagelneues Gerät andrehen würde, weil er vom Elektrohändler Gustavo Carneiro prozentual beteiligt wurde, wenn er etwas an den Mann brachte. Oder an die Frau. »Viel Erfolg dann. Und viel Spaß bei der Party.« Er nickte Dona Joana zu, lächelte Marisa kurz zu und verließ das Haus der Familie Gomes, wobei er die Hände in die Hosentaschen steckte und überhaupt versuchte, einen sehr lässigen Abgang hinzulegen. In Wahrheit jedoch fühlte er Marisas Blicke in seinem Rücken brennen und fürchtete nichts mehr, als sich vor ihr zu blamieren.
    Dona Joanas Drohung, mit Inácio zu reden, ließ ihn indes kalt. Er hatte keine Angst vor ihm. Sie hatten einen Handel abgeschlossen, und der bestand darin, dass Ricardo den fast zehn Jahre alten Peugeot 202 Pick-up restaurierte, ihn dafür aber auch so oft fahren durfte, wie der Wagen auf der Quinta nicht gebraucht wurde – allerdings nur auf kleinen Landstraßen, wo die Gefahr einer Polizeikontrolle gering war. An seinen Teil der Abmachung würde Inácio sich halten. Niemals würde der verkannte Korkeichen-Mogul sich den nicht versiegenden Geldhahn, den Laura für den Erhalt von Belo Horizonte aufgedreht hatte, zudrehen lassen. Dass Ricardo nicht im Traum daran dachte, seiner Rabenmutter irgendetwas von den Vorgängen auf der heruntergekommenen Quinta zu erzählen, brauchte Inácio ja nicht zu wissen. Und auch nicht, wie oft er mit dem Peugeot schon ins Zentrum von Beja gefahren war, direkt an der Polizeiwache vorbei.
    Heute aber war er mit dem Motorroller in der Stadt. Vor dem Haus der Gomes’ trat er auf das Anlasserpedal und hoffte, dass der Motor gleich ansprang. Marisa könnte ihn womöglich noch vom Fenster aus beobachten. Brav, dachte er, als er gleich beim ersten Versuch das satte Brummen des Rollers hörte. Seinen Helm, der am Lenkrad baumelte, setzte Ricardo nicht auf. Stattdessen fuhr er so rasant an, dass das Gefährt sich aufbäumte. Mit Vollgas düste er davon. Nicht schlecht. Aber lange nicht so gut, als wenn er ein richtiges Motorrad unterm Hintern gehabt hätte.
    An der Praça hielt er an. Von den Jungs waren nur Manuel und Joaquim da. Sie hatten ihre Roller neben dem Brunnen aufgebockt und saßen breitbeinig auf den Stufen. Manuel rauchte eine der Zigaretten, die er immer am Kiosk seines Großvaters klaute, Joaquim kaute Kaugummi und entblößte dabei sein ruinöses Gebiss, als wäre er stolz auf die Stummel in seinem Mund.
    »Mach’s Maul zu, von dem Anblick deiner Zähne wird einem ja schlecht«, begrüßte er den einen Freund. »He, Manuel, gib mir mal ’nen Glimmstengel«, sagte er zu dem anderen.
    »Deine Eiter-Fresse ist auch nicht so toll anzusehen, Schwachkopf.«
    Ricardo trat nach einer leeren Flasche, die auf den Stufen des Brunnens lag, bevor Manuel endlich eine Zigarette aus dem zerbeulten Päckchen herausgekramt hatte. Sein Blick folgte der Flasche, die mit großem Getöse über den halben Platz kullerte. Erst am Fuß einer Parkbank blieb sie liegen. Ricardo ließ sich Feuer geben und hielt die Zigarette so zwischen Daumen und Zeigefinger, dass sie in seiner Handhöhle verborgen war. Komische Angewohnheiten legte man sich zu, wenn man jahrelang heimlich rauchte. Ricardo rauchte, seit er zwölf war.
    Die junge Frau, die, einen Kinderwagen vor sich, auf der Parkbank gesessen hatte, suchte das Weite. Wahrscheinlich dachte sie, Ricardo hätte die Flasche extra in ihre Richtung getreten. Sie hat Angst vor mir, schoss es Ricardo durch den Kopf, und die Vorstellung erfüllte ihn zu gleichen Teilen mit Scham und mit einem Gefühl des Triumphs. Ja, sollten sie doch Angst haben, die braven Bürger in dieser gottverdammten Stadt. Die Jungs hatten die Flucht der jungen Frau ebenfalls bemerkt und lachten sich halbtot darüber.
    »Volltreffer, Ricardo«, lobten sie ihn.
    »Die Schlampe war schneller weg als Alda, wenn sie dich kommen sieht«, fügte Joaquim überflüssigerweise hinzu.
    Einen Augenblick lang neigte Ricardo dazu, seiner Mutter beizupflichten, die sich, trotz ihres ewigen Verständnisses für die unteren Bevölkerungsschichten, nicht scheute, seine Freunde »Abschaum« zu nennen. Doch sein Ärger hielt nicht lange an. Gerade als er zu einer gemeinen Antwort ansetzte, sah er aus dem Augenwinkel ein Mädchen heranradeln. Marisa – unverkennbar in ihrer hellblauen Capri-Hose, einer weißen Bluse, die in der Taille verknotet war, und einem wippenden hellbraunen Pferdeschwanz. Jetzt trug sie allerdings eine

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