So weit der Wind uns trägt
er Schlaues oder Witziges sagen könnte. Marisa war die Erste, die das Schweigen brach, wenngleich sie sich selten dämlich dabei vorkam.
»Wieso nennst du dich eigentlich Rick?«
Diesmal zuckte Ricardo kaum merklich zusammen. Das hatte er nun davon, dass er ihr so einen Quatsch aufgetischt hatte. Spontan fiel ihm nicht Besseres ein, als zu antworten: »Mein Vater ist Amerikaner.«
»Ach, ehrlich? Dann sprichst du bestimmt fließend Englisch, oder?«
»Nein. Ich kenne den Mann gar nicht. Ich war auch noch nie in Amerika.«
»Und wieso nennst du dich dann Rick?«
Er war in ihre Falle getappt wie der letzte Schuljunge. Ricardo überlegte angestrengt, wie er ihre Frage denn nun beantworten konnte, ohne sich noch weiter um Kopf und Kragen zu reden. Gleich würde sie ihn garantiert fragen, wie es kam, dass sein Vater Ami war, wo er lebte, welcher Arbeit er nachging. Dann würde sie wissen wollen, was seine Mutter tat, ob sie wieder (!) geheiratet und ob er Geschwister hatte. Als Nächstes würde sie ihn nach seinen Berufszielen ausquetschen. Und wenn es ganz schlimm käme, würde sie womöglich noch sein Sternzeichen in Erfahrung bringen wollen. Mädchen interessierten sich immer für so einen Humbug.
Um sich gar nicht erst einer beschämenden Befragung auszusetzen, sagte Ricardo nur: »Vergiss es.« Ihr gekränkter Gesichtsausdruck zeigte ihm, dass das vielleicht nicht so klug gewesen war. Aber was blieb ihm anderes übrig? Er sah schon ihre höhnische Miene, wenn er ihr die Wahrheit erzählte.
Mein Vater ist der Komponist Jack Waizman, er hat drei Oscars für seine Filmmusik gewonnen. Meine Mutter ist Laura Lisboa, die berühmte Künstlerin.
Hahaha. Sie würde sich vor Lachen ausschütten und würde dann erwidern:
Und ich bin die Kaiserin von China
. Oder etwas in der Art. Ricardo hatte diese Erfahrung ein einziges Mal gemacht, und er wünschte sich nicht, sie zu wiederholen.
Jemandem, der sich als Schulabbrecher in der Provinz mit Gelegenheitsjobs durchschlug, glaubte man sowieso nicht, schon gar nicht eine so haarsträubende Geschichte. Und wieso er mit Nachnamen da Costa hieß, wenn doch seine Eltern beide andere Namen trugen, würde auch niemand nachvollziehen können. Ricardo wusste schon länger, dass es seine Mutter war, die sich hinter dem Pseudonym Laura Lisboa verbarg, doch er hatte sie nie damit konfrontiert. Er wartete immer noch auf den Tag, an dem sie selber ihn beiseitenahm und ihm ihr Geheimnis anvertraute. Bevor sie das nicht tat, sah er keine Veranlassung, seinerseits irgendetwas von dem preiszugeben, was ihn beschäftigte.
Ach, eigentlich war es doch auch völlig egal, wer seine Eltern waren. Schließlich war er derjenige, der Marisa zum Tanzen auffordern würde, nicht seine Eltern. Er war es, der ihr ein Bier spendieren würde – Limonade war seinem Ziel nicht besonders förderlich –, und er war es auch, der sie später nach Hause bringen würde. Nicht sein Vater und nicht seine Mutter. Er ganz allein. Und er war es auch, der sie dann küssen würde. Um das zu bewerkstelligen, musste er sich allerdings ein bisschen weniger abweisend zeigen.
»Tut mir leid«, sagte er, »ich mag es nur nicht, wenn mir einer so viele Fragen stellt. Außerdem kannst du mich gern Ricardo nennen, wenn dir Rick nicht gefällt.«
»Also, Ricardo, dann verrate mir doch wenigstens, warum du so blöde Reparaturjobs durchführst und keinen richtigen Beruf lernst.«
Diese Nervensäge. Herrje, wie sie ihm auf den Wecker ging mit ihren Fragen, die alle genau seine wunden Punkte trafen! Konnte dieses Mädchen nicht einfach das Fest genießen und dann mit ihm im Pick-up durch die Nacht fahren? Musste sie andauernd solche blöden Fragen stellen?
»Weil ich besser bin als der Mann, bei dem ich eine Lehre hätte machen können.«
»Das glaube ich dir sogar. Aber der gilt als Fachmann und lässt sich auch so bezahlen, während du noch schlechter dastehst als der unfähigste Lehrling.«
»Warten wir’s ab.« Ricardo war in seinem tiefsten Innern davon überzeugt, dass eines Tages etwas aus ihm werden würde. Wie er das anstellen sollte, darüber zerbrach er sich jetzt nicht den Kopf. Irgendwann würde er es ihnen allen zeigen.
»Aber worauf willst du denn warten? Dass du alt wirst und dann immer noch Aushilfsarbeiten erledigst? Dass du …«
Weiter kam Marisa nicht, denn in diesem Augenblick nahm Ricardo sie bei der Hand und zog sie zur Tanzfläche. Es lief »Rock around the clock« von Bill Haley, und obwohl
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