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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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neomanuelinischem Stil, musste sie noch ausrangieren, dann wäre ihre Bude wirklich klasse. Aber da ließ ihr Vater einfach nicht mit sich reden. »Er ist eine Kostbarkeit, Marisa! 19 . Jahrhundert, Brasilien. Was hast du gegen diesen Tisch?« Dass sie das Möbelstück altmodisch fand und ihm eine unheilvolle Ausstrahlung zuschrieb, ließ er nicht gelten. »Wahrscheinlich hast du zu viele finstere Inquisitions-Romane gelesen.«
    Also saß Marisa nun in ihrem nagelneuen Cocktailsessel und nicht an diesem Monstrum von Schreibtisch, das sie mit einer großen Tischdecke verhüllt und auf dem sie ihre Schätze aufgestellt hatte: asymmetrische Blumenvasen, einen futuristischen Kugelaschenbecher, ein Frisierset sowie Bilderrahmen mit Fotos von Freunden, Angehörigen und vor allem von ihr selber. Das Schreiben war nicht so einfach, mit dem Briefblock auf dem Schoß und ohne die direkte Beleuchtung einer Schreibtischlampe. Ja, eine von diesen flotten Tütenlampen könnte sie noch gebrauchen. Die würde sie neben den Sessel stellen, einen Arm auf den Sitzplatz gerichtet, damit sie besser lesen und, wie jetzt, schreiben konnte.
    Hi, Rick
, begann sie. Dann fiel ihr nichts mehr ein. Sie ließ den Blick durch ihr Zimmer schweifen und richtete es im Geiste modisch ein. Neue Gardinen wären auch mal fällig. Vielleicht hatte ihre Mutter ein Erbarmen. Sie versuchte sich wieder auf das fast jungfräuliche Blatt zu konzentrieren. Es hatte ja keinen Zweck, sich so intensiv mit der Dekoration eines Zimmers zu beschäftigen, das sie vielleicht schon bald gar nicht mehr bewohnte. Wenn es nach Sérgio ginge, wären sie längst verheiratet. Allerdings hatte der es für ihren Geschmack gar zu eilig – sie kannten sich ja erst seit ein paar Monaten.
    Es war schön, mal wieder von dir zu hören.
Verflucht, es war unmöglich, eine geschwungene, damenhafte Handschrift hinzubekommen, wenn man sich so in den Sessel lümmelte wie sie. Marisa richtete sich auf, nahm die Füße von dem flachen Tisch und schrieb weiter.
Ich hoffe, es geht dir gut.
Ach du liebes bisschen! Das war ihrer nicht würdig. Andererseits war es auch irgendwie egal, was dieser Junge von ihr denken mochte, oder? Eine Urlaubsbekanntschaft, die aus unerfindlichen Gründen in eine dreijährige Brieffreundschaft übergegangen war. Marisa hatte Ricardo seit dem Sommer 1957 nicht mehr gesehen. Sie konnte sich gar nicht mehr so recht an ihn erinnern. Das Einzige, was ihr unvergesslich bleiben würde, war ihr nächtlicher Besuch auf dem Polizeirevier sowie die anschließenden Wutausbrüche ihrer Tante. Heute konnte Marisa darüber lachen. Damals hatte sie sich fast in die Hose gemacht vor Angst. Der Reiz von verbotenen Handlungen verflog äußerst rasch, wenn man sich dabei erwischen ließ.
    Bei mir läuft so weit alles ganz gut. Im Herbst werde ich zum Studieren nach Paris gehen, und danach – mal schauen. Vielleicht zieht es mich dann nach Coimbra
. Vor allem hatte sie Lust, endlich von zu Hause auszuziehen. Ob sie ein Studium zum Vorwand dafür nahm oder eine Hochzeit, das war ihr eigentlich egal. Von Sérgio hatte sie Ricardo bisher noch nichts erzählt, warum auch immer. Tja, wenn sie ehrlich war, wusste sie natürlich, warum. Weil er dann aufhören würde, ihr weiterhin zu schreiben, darum. Und das würde ihr nicht gefallen. Verehrer konnte man nie genug haben.
    Ob sie mal wieder in den Alentejo käme, wollte er wissen. Unwahrscheinlich. Oder sollte sie? Ihr hübscher neuer Fiat brauchte mal ein bisschen Auslauf – eine Fahrt von rund 200 Kilometern wäre genau das Richtige. Aber was sollte sie in dieser verschlafenen Gegend? Im Sommer hatte sie einen Urlaub gemeinsam mit ihren Eltern, ihrem Bruder und dessen Verlobter sowie mit ihrer Freundin Inés geplant, die ihrerseits wahrscheinlich ihren Bruder mitbrächte. Eine kunterbunte, fröhliche Mischung, die sich bereits im vergangenen Jahr bewährt hatte, auch wenn Inés einfach die Hoffnung nicht aufgab, Hélder, Marisas Bruder, könne sich doch noch für sie begeistern.
    In diesem Jahr würde wahrscheinlich auch Sérgio mitkommen wollen. Das Haus, das sie in Nazaré gemietet hatten, war groß genug für alle. Natürlich schliefen die jungen Leute nach Geschlechtern getrennt, solange sie nicht verheiratet waren. Und natürlich hatten ihre Eltern immer ein wachsames Auge auf sie alle. Dennoch hatten sich jede Menge Gelegenheiten zum Flirten ergeben. Und zum Küssen. Und zu mehr, aber da hatte Marisa strikt nein gesagt. Sie war

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