So weit der Wind uns trägt
sich gegenseitig und waren kurz davor, sich zu prügeln, bis sie dann endlich die wahre Schuldige ausmachten.
Marisa stand stocksteif neben ihrem demolierten Auto und verfolgte die Szene wie die eines Films. Als wäre sie selber eine Unbeteiligte, fassungslos angesichts des Tohuwabohus, das sich vor ihren Augen abspielte, sich jedoch keiner Schuld bewusst. Erst die Sirenen des Polizeiwagens holten sie in die Realität zurück.
»Haben Sie sich verletzt, junge Frau? Geht es Ihnen gut?« Der junge Wachtmeister beäugte Marisa von Kopf bis Fuß. Er hatte ein mulmiges Gefühl. Das war eine Touristin, und, nach dem Sportwagen zu urteilen, eine reiche noch dazu. Wenn sie unter Schock stand und er nicht die nötigen Maßnahmen ergriff, würde er Ärger bekommen. »Ich rufe am besten einen Krankenwagen.«
»Nein, nein, vielen Dank. Mir geht es gut. Ich habe nur einen Moment lang … Sie wissen schon, der Schreck. Er ist mir ganz schön in die Glieder gefahren.«
Der Polizist war äußerst angetan von der Reaktion der jungen Frau. Weder heulte sie noch jammerte sie noch schrie sie jemanden hysterisch an.
»Also gut, dann erzählen Sie mir doch jetzt freundlicherweise, was sich hier zugetragen hat.«
»Ich fürchte, ich bin in den Karren gefahren, der daraufhin umgekippt ist.«
Knapp, präzise, sachlich. So lobte der Polizist sich eine Aussage. Wenige Sekunden später musste er sein erstes Urteil revidieren. Die junge Frau hatte angefangen zu lachen, leise glucksend erst, dann immer offener, bis sie gar nicht mehr zu halten war. Ihr standen Tränen in den Augen, und sie hielt sich den Bauch vor Lachen. Klarer Fall von weiblicher Hysterie. Er folgte ihrem Blick, um die Ursache ihres inadäquaten Heiterkeitsausbruchs festzustellen, doch er sah nur zermatschte Melonen und tönerne Scherben. So witzig war das nun auch wieder nicht.
Marisa leistete keinen Widerstand, als eine Ambulanz kam und die Sanitäter sie vorsichtig an den Ellbogen nahmen und in den Wagen begleiteten. Inzwischen hatte sie sich zwar wieder abgeregt, doch erschien es ihr sinnvoll, vom Unfallort weggebracht zu werden: Die Geschädigten waren derartig aufgebracht, dass sie mit mordlustigen Blicken auf Marisa eingeredet und sie wüst beschimpft hatten. Na, sollten sie ihre Aggressionen doch an ihrem schnittigen Fiat auslassen – der hatte sowieso schon schlimme Beulen.
Am selben Abend rief Ricardo im Haus ihrer Verwandten an und verlangte nach ihr. Dona Joana konnte es sich nicht verkneifen, Ricardo durchs Telefon zuzuzischeln: »Du, du Mistkerl, du bringst allen Leuten nur Unglück!« Dennoch rief sie Marisa an den Apparat.
»Olá! Deine Anreise war ja ganz schön unauffällig …«
»Oh, hallo, Ricardo! Tja, die Polizeiwache von Beja gehört zu den aufregendsten Sehenswürdigkeiten der Region. Ich musste sie mir einfach noch einmal ansehen.«
Ricardo lachte leise. »Haben sie dir deinen Führerschein gelassen?«
»Ja, Gott sei Dank.«
»Dann ist ja alles geritzt. Den Wagen stelle ich. Aber bitte behandle ihn wie ein rohes Ei. Oder wie einen Wagen, der Melonen geladen hat …«
»Hahaha.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Wovon redest du eigentlich? Haben wir eine Verabredung oder so? Ich kann mich an nichts dergleichen erinnern.«
»Ja, haben wir. Wahrscheinlich hat der Unfall dein Gedächtnis leicht beschädigt. Um acht. Im ›Café Simões‹. Bis dann.« Er legte auf, bevor sie noch weitere dumme Spielchen mit ihm treiben konnte.
Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Würde sie kommen? Wie sah sie jetzt aus? Würden sie einander wiedererkennen? Was sollte er anziehen? Sollte er ihr in seiner nagelneuen Uniform gegenübertreten, in der er wie ein Blödmann aussah, von der aber alle, ausnahmslos, behaupteten, dass sie ihm ausgezeichnet stand? Oder wären nicht Bluejeans, T-Shirt und Lederjacke
cooler?
War das »Café Simões« passend? Stand sie auf Läden mit Jukebox und Flipperautomaten? Hätte er sie besser in ein schickeres Lokal bestellen sollen? Nicht dass es deren allzu viele gegeben hätte. Ricardo brauchte ein paar Minuten, um sich wieder zu beruhigen. Er sah auf die Uhr. Er hatte gerade noch eine halbe Stunde Zeit, um sich fertig zu machen und in die Stadt zu fahren. Das war okay für ihn – aber war die Zeit nicht zu knapp bemessen für sie? Die Weiber machten ja immer so ein Theater um ihr Aussehen.
Er entschied sich gegen die Uniform – sein Haarschnitt war schon militärisch genug – und zog seine Lieblingskluft
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