So weit der Wind uns trägt
verständigen Eindruck auf sie. »Um Gottes willen, selbstverständlich werde ich keine Notizen mit Tinte machen!«, hatte er ausgerufen. Dona Aldora hatte es ihm ausnahmsweise durchgehen lassen. In dieser Bibliothek duldete sie sonst nur Flüstern.
Nach etwa einer Stunde verließ Fernando die Bücherei, nicht ohne sich zuvor überschwänglich bei Dona Aldora für deren kompetente und freundliche Hilfe bedankt zu haben.
Danach schlenderte er ziellos durch Beja. Es hatte sich, abgesehen von ein paar neuen Lokalen und Geschäften, nicht sehr viel verändert. Nur auf der Praça lungerten ein paar Halbstarke herum, um die er einen großen Bogen machte. Zwar traute Fernando sich zu, mit diesen armseligen Jüngelchen fertig zu werden – dreißig Jahre Übung mit nichtsnutzigen Kadetten waren sicher nicht umsonst gewesen –, doch er zog seine Ruhe vor. Er wollte sich den Urlaub nicht durch diese Wichte verderben lassen, die, wie ihresgleichen es auch in Lissabon gern taten, ein perverses Vergnügen daran zu finden schienen, die in ihren Augen schwächsten Mitglieder der Gesellschaft zu drangsalieren: Frauen, Kinder, Alte und Behinderte.
Sein Weg führte Fernando, ohne dass er es recht bemerkt hatte, zu der alten Festung. Er umrundete das Bauwerk, bis er an der Stelle angelangt war, an der er und Jujú sich als Kinder versteckt hatten. Er legte eine Hand auf die Mauer, die im Schatten lag. Sie fühlte sich kühl und feucht an. Wie hatten sie sich hier damals so ängstigen können? Es war doch nur ein altes Gemäuer. Er musste schmunzeln angesichts der kindlichen Phantasie, die ohne Frage beflügelt worden war von all den Geistergeschichten, die früher erzählt wurden. Heute waren so abergläubische Menschen wie seine Mutter nicht mehr sehr zahlreich. Heute flößte allerdings die Festung anscheinend auch niemandem mehr Angst ein: In dem Unkraut am Fuße der Mauer lagen leere Zigarettenschachteln und Scherben von Bierflaschen. Fernando kniff missmutig die Brauen zusammen und wanderte zurück ins Stadtzentrum, wo er seinen Wagen geparkt hatte. Allerhöchste Zeit, sich den Aprikosen zu widmen, die trotz des erbärmlichen Zustands des Baumes in schönster Pracht und enormer Zahl daran hingen und dringend geerntet werden mussten. Vielleicht würde er der staubtrockenen Dona Aldora einen Korb voll vorbeibringen. Irgendetwas musste er mit den Früchten anstellen – einkochen konnte er sie ja schlecht. Und Jujú hätte es ebenfalls nicht gekonnt, wenn sie ihn denn begleitet hätte.
Die Luft flimmerte. Die Hitze schnürte einem die Luft ab. Schwer und beklemmend wie der Röntgenschutzumhang, den er voriges Jahr bei der Durchleuchtung seines gebrochenen Beines hatte anlegen müssen, lag sie auf Ricardos Brustkorb. In den Straßen war kaum noch ein Mensch. Alle hatten sich über die Mittagszeit ins Innere der Häuser oder wenigstens in den Schatten gerettet. Es wehte ein leichter Wind, der jedoch keine Erfrischung brachte, sondern mehr an den heißen Hauch aus einem Auspuffrohr erinnerte, wenn der Motor gerade abgestellt worden war. Der Wind hatte kaum genügend Kraft, um ein paar Papierschnipsel, die vorher beisammengelegen hatten, zu zerstreuen. Danach schien er wieder Luft holen zu müssen, um dann, immer im Abstand von etwa einer Minute, irgendetwas anderes zu berühren und geringfügig zu bewegen. Erst war es die Haarsträhne, die Ricardo mit erheblichem Aufwand genau so und nicht anders drapiert hatte, die der Wind ihm aus der Stirn pustete. Dann wirbelte die heiße Brise einige verdorrte Blätter auf. Nur den Haufen, den Dona Joanas Hund stolz in der Mitte des Platzes deponiert hatte, beeindruckten die Bestrebungen des Windes kein bisschen. Blöder Köter
.
Und verfluchtes Kaff, in der einem kaum etwas anderes übrigblieb, als missmutig auf die Hinterlassenschaften unerzogener Hunde zu glotzen, weil man amtlich verordnet bekam, mittags nicht zu lesen.
Was war das nur für eine verquere Logik, wonach die Bibliothek ihre Öffnungszeiten festlegte? Wann, wenn nicht in den Mittagsstunden, sollte man denn sonst dorthin gehen? Aber genau zwischen 12 . 00 Uhr und 15 . 30 Uhr schloss die Bücherei, und man konnte sich auf peinlichst genaue Einhaltung dieser Zeiten verlassen: Die alte Schachtel war so pünktlich, dass halb Beja die Uhren nach ihr stellte.
Ricardo trat gegen den Reifen seines Motorrollers. In der Gegend herumfahren, das wäre jetzt schön. Schön erfrischend. Aber der Tank war fast leer, und Ricardo war
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