So weit der Wind uns trägt
während er sprach.
Dona Clementina nickte ihrer Jüngsten aufmunternd zu.
»Ja, es ist wirklich zauberhaft.« Mehr fiel Jujú nicht ein. Ein so plumpes Manöver hätte sie bei Rui nicht für möglich gehalten. Sie erhob sich und ging zur Tür. Rui folgte ihr. Beide waren sich bewusst, dass alle Blicke auf sie gerichtet waren, als sie den Raum verließen, der neiderfüllte von Beatriz ebenso wie der erwartungsvolle von Dona Clementina und der zweifelnde von Mariana. Jujú hätte ihre Mutter erwürgen können. Auf der anderen Seite musste sie darüber schmunzeln, dass ihre stets auf perfekte Etikette bedachte Mutter es zuließ, dass eine ihrer Töchter unbeaufsichtigt mit einem jungen Mann zusammen war, und sei es auch nur für wenige Minuten.
Rui warf Jujú einen spöttischen Blick zu, als sie auf der Veranda ankamen. »Unsere Mütter sind so leicht zu durchschauen, nicht wahr?«
»Das stimmt. Aber wir müssten ihr Spiel ja nicht mitspielen.«
»Warum tun Sie es dann?« Rui hatte eine Braue hochgezogen und schien ehrlich an ihrer Antwort interessiert zu sein.
»Ich schätze, aus denselben Gründen, aus denen auch Sie es tun.« Doch welche mochten das sein? Vernunft? Es war für beide nicht nur an der Zeit, sich zu binden und eine Familie zu gründen, eine Ehe zwischen ihnen brächte auch vom gesellschaftlichen und vom wirtschaftlichen Standpunkt aus nur Vorteile mit sich. Oder war es der Mangel an Alternativen? Jujú bezweifelte es. Sie selber mochte sich ja weniger umschwärmt fühlen, als es ihr ihrer Meinung nach zustand, aber bei Rui konnte sie sich das nicht vorstellen. Er war ein Mann. Er konnte seine Gefühle und seine Leidenschaften ausleben, ohne dass immerzu eine Mutter oder eine Tante über die Schicklichkeit seiner Handlungen wachte. Als jemand von untadeliger Herkunft, der eines Tages ein Vermögen erben würde, konnte er sich außerdem den Luxus erlauben, aus Liebe zu heiraten. Wieso tat er es dann nicht? Irgendwo saß jetzt sicher ein Mädchen, das sich die Augen ausweinte, weil Rui eine andere umwarb.
Er sah blendend aus, wie er im rötlichen Licht der Abendsonne stand, eine Hand lässig in der Hosentasche, die andere in einer fragenden Geste ans Kinn gelegt. Einen Augenblick lang sah er so aus, als wollte er das heikle Thema weiter vertiefen, doch dann verzog er die Lippen zu einem schmalen Lächeln. »Es ist sehr warm hier draußen. Lassen Sie uns wieder hineingehen.«
»Oh nein. Sie haben uns das eingebrockt – und jetzt werden wir hier brav den Sonnenuntergang bestaunen. Stellen Sie sich nur die Enttäuschung unserer Mütter vor, wenn wir schon so bald wieder zurückkämen.«
Rui lachte leise und nickte. »Sie gefallen mir, Menina Juliana.«
Sie gefallen mir auch nicht schlecht, Senhor Rui, dachte Jujú.
Zwei Tage später, nachdem Mutter und Sohn da Costa abgereist waren, wirkte Belo Horizonte auf Jujú merkwürdig verwaist. Das Anwesen und die Ländereien waren ihr, als sie Rui herumgeführt hatte, lebendiger erschienen, malerischer und romantischer. Jetzt, ohne den Glanz, den Ruis Bewunderungsausrufe dem Besitz verliehen hatten, sah sie wieder seine Schattenseiten: die ausgedörrte Erde, die von der anhaltenden Trockenheit welken Blätter, die an den Reben verschrumpelnden Trauben.
Sie ritt mit Mariana über die Felder. Ein paar hundert Meter vor ihnen trieb ein abgerissener Hirte eine armselige Rinderherde über das Land. Sie wirbelte eine enorme Staubwolke auf und hinterließ nichts außer einer Spur von Kuhfladen sowie den blechernen Klang ihrer Glocken.
»Das Land verkommt«, sagte Mariana. »Findest du nicht, dass alles ein wenig verwahrlost aussieht?«
»Ich glaube, das kommt uns nur so vor. Nur in unserer Erinnerung sehen wir eine bunte und abwechslungsreiche Landschaft. In Wahrheit war sie schon immer karg und monoton.« Jujú wusste nicht, ob sie an ihre eigenen Worte glauben sollte. Vielleicht spielte ihnen wirklich ihre Erinnerung einen Streich. Auch war es denkbar, dass ihre Auslandsaufenthalte in England und Frankreich ihre Wahrnehmung verändert hatten. Die anhaltende Dürre tat ein Übriges, um das Land seiner betörenden Düfte und seiner intensiven Farben zu berauben. Wahrscheinlich aber hatte Mariana recht. Früher hatte hier alles gepflegter ausgesehen, obwohl es nur Kleinigkeiten waren, die auf mangelnde Sorgfalt hinwiesen, ein niedergetrampelter Zaun hier, ein abgeknickter Zweig dort, oder auch das rostige Ackergerät auf dem Platz hinter der Scheune, wo
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