So weit der Wind uns trägt
begrüßen, fand sie zu ihrer unverblümten Art zurück. »Ja, mich freut es auch sehr, dass wir uns endlich einmal persönlich kennenlernen. Ich habe schon so viel von Ihnen gehört – aber kein Mensch hat mir erzählt, wie gut Sie aussehen.«
Dona Clementina verdrehte die Augen, Jujú stöhnte leise auf, José Carvalho warf seiner Zweitjüngsten einen vernichtenden Blick zu. Die Gäste dagegen schienen sich an der Bemerkung nicht zu stören. Dona Filomena lächelte Mariana wohlwollend zu, und Rui selber antwortete diplomatisch: »Während mir von Ihrer Schönheit sehr wohl berichtet wurde.« Mariana errötete und sah in diesem Moment tatsächlich hinreißend aus.
Ihren ersten Eindruck von Rui revidierte sie allerdings bereits beim Abendessen. Das Gespräch drehte sich vor allem um den Krieg, und obwohl keiner der beiden anwesenden Männer über nennenswerte militärische Kenntnisse verfügte, versuchten sie sich gegenseitig darin zu übertrumpfen, die raffiniertesten Schlachtpläne und die realistischsten Szenarien zu entwerfen. Sowohl José Carvalho als auch Rui da Costa vertraten dabei den Standpunkt, dass der Zweck immer die Mittel heilige und dass es auf das eine oder andere Menschenleben mehr oder weniger nicht ankäme – die meisten armen und dummen Männer taugten schließlich nicht zu mehr als zu Kanonenfutter.
Mariana, die sich irgendwann von der Unterhaltung der Männer abgewandt und mit den anderen Frauen Anekdoten über das Reisen ausgetauscht hatte, bekam die überheblichen Ansichten Ruis nur am Rande mit. Aber das reichte ihr, um sich empört an ihn zu wenden.
»Sie als gefeierter Kriegsheld wissen natürlich, wovon Sie reden. Aber was tun Sie, wenn das Kanonenfutter nicht mehr zur Verfügung steht, um Ihre Weinberge abzuernten?«
»Verzeihen Sie, Menina Mariana, wenn unser Gespräch Ihre zarte weibliche Seele verletzt haben sollte. Ich fürchte, Sie haben da etwas Grundlegendes missverstanden. Es würde jetzt zu weit führen, Ihnen die genauen Hintergründe zu erklären. Aber zu Ihrer Beruhigung sei gesagt, dass unsere Landarbeiter unseren Weinbergen weiterhin treu sein werden: Portugal befindet sich nicht im Krieg.«
»Und außerdem«, ergänzte José Carvalho, »ist das wirklich kein Thema, das eine junge Dame zu interessieren hat.«
Die Männer warfen sich einen komplizenhaften Blick zu. Mariana glaubte bei Rui darin weniger männliche Solidarität zu erkennen als vielmehr den Wunsch, sich bei ihrem Vater einzuschmeicheln. Ihr missfiel der Ausdruck in seinen Augen zutiefst.
Jujú hatte von Marianas Einmischung in die Unterhaltung der Männer nichts mitbekommen. Sie lachte aus vollem Hals über die Beobachtungen, die Dona Filomena während einer Reise durch die Schweiz gemacht hatte und die sie kichernd zum Besten gab. Ihr fiel auf, wie sehr Dona Filomena und Mariana sich ähnelten – beide waren den leiblichen Genüssen äußerst zugetan, beide waren erfrischend offen und hatten einen entwaffnenden Humor –, und für den Bruchteil einer Sekunde dachte Jujú, dass Mariana die viel bessere Schwiegertochter für die da Costas abgeben würde. Aber nein, der geschniegelte Rui würde wohl eine repräsentativere Frau bevorzugen.
Andererseits: Zu ihr selber schien er sich kaum mehr hingezogen zu fühlen als zu Mariana oder den anderen Damen in ihrem Haus. Er war immer freundlich und machte allen hübsche Komplimente, ließ jedoch niemals erkennen, dass gerade Jujú es ihm besonders angetan hätte. Vielleicht wurde auch er von seinen Eltern zu der vorteilhaften Verbindung gedrängt? Welche Geheimnisse, fragte Jujú sich, verbargen sich wohl hinter Ruis glatter Fassade?
»Den schönsten Blick darauf«, hörte sie nun ihre Mutter sagen, »hat man von der Veranda des Salons. Wenn Sie möchten, begleitet Juliana Sie dorthin. Es ist wirklich ein außergewöhnliches Spektakel.«
»Wenn Ihre Tochter so freundlich wäre …« Rui sah Jujú auffordernd an. Er bemerkte an ihrer fragenden Miene, dass sie nicht wusste, wovon die Rede war, und erklärte: »In der bergigen Landschaft meiner Heimat hat man selten die Gelegenheit, einen richtig schönen Sonnenuntergang zu beobachten. Hier dagegen«, er deutete auf die leuchtend rosafarbenen Blüten des Oleanderstrauches vor dem Fenster des Speisezimmers, die im Licht der letzten Sonnenstrahlen förmlich zu glühen schienen, »kann man das Schauspiel offensichtlich bis zur letzten Sekunde auskosten.« Er rückte bereits mit dem Stuhl vom Tisch ab,
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