So weit der Wind uns trägt
staunte sie nicht schlecht über die Familie, die da mitten auf dem Dorfplatz um ein Automobil herumstand: eine elegant gekleidete Dame, die ungeduldig mit den Fingern auf das Dach des Wagens trommelte; ein schwitzender Herr gehobenen Standes, der sich schnaufend an dem Reserverad auf der Rückseite des Autos zu schaffen machte; ein dicklicher junger Mann, der dem älteren Herrn dabei behilflich war; und ein zweiter, äußerst ansehnlicher junger Mann, der tatenlos danebenstand und ein arrogantes Lächeln aufgesetzt hatte. Edmundo.
Maria da Conceição liefen noch immer Schauer über den Rücken, wenn sie an den Moment zurückdachte, als sie ihn das erste Mal sah. Er hatte hellbraunes, gewelltes Haar, das er etwas länger trug, dazu ein schmales Gesicht mit hellen Augen, einer geraden Nase und schönen, nicht allzu vollen Lippen. Sein Kinn zierte ein gestutzter Vollbart. Conceição ließ sich so schnell nicht aus der Fassung bringen, aber bei dieser Erscheinung wäre sie beinahe in Ohnmacht gefallen. Der Mann sah aus wie der Heiland! Das allein wäre Maria da Conceição natürlich kein ausreichender Grund gewesen, sich unsterblich in ihn zu verlieben – wenn er bei den Passionsspielen auftrat, sah der Sohn des Scherenschleifers schließlich auch aus wie Jesus Christus. Doch als der Fremde kurz darauf bewies, dass seine Handlungsweise ebenfalls eher der eines Heiligen als der eines gewöhnlichen Sterblichen entsprach, war es um Maria da Conceição geschehen: Er zog seinen feinen Wollmantel aus und legte ihn einem halb erfroren aussehenden Jungen um die Schultern. Genau wie São Martinho! Ach was, besser! Der heilige Martin hatte seinen Mantel schließlich nur geteilt, während dieser wunderbare Mensch ihn ganz weggab.
Jeder, der Zeuge dieser Szene geworden war, hätte Maria da Conceição darüber aufklären können, dass der junge Herr keineswegs aus Nächstenliebe seinen Mantel abgelegt hatte, sondern vor Ekel. Zuvor nämlich – und von Maria unbemerkt – war ein räudiger Hund an ihm hochgesprungen und hatte auf dem hellgrauen Wollstoff hässliche Flecken hinterlassen. Doch niemand sprach mit Conceição über den Vorfall, und selbst wenn man ihn ihr geschildert hätte, wäre sie nicht davon abzubringen gewesen, den schönen jungen Mann zu verehren. Wankelmütigkeit gehörte nicht zu ihren Fehlern. Sie konnte genauso stur wie Fernando sein.
Das Missgeschick der Familie Soares Pinto, die auf ihrer Fahrt von Lissabon nach Albufeira in dem kleinen Dorf bei Beja strandete, hatte nicht nur auf den Seelenzustand von Maria da Conceição einen dramatischen Einfluss.
Die Fremden waren, nachdem ein handwerklich geschickter Mann die Dauer der Reparatur auf mehrere Stunden geschätzt hatte, von Padre Alberto höchstpersönlich zu den Carvalhos begleitet worden – auf einem Pferdefuhrwerk. Der Padre wusste, wann er es mit feinen Leuten zu tun hatte, und die galt es auf keinen Fall zu brüskieren. Geistesgegenwärtig hatte er den Leuten vorgeschlagen, die Wartezeit auf Belo Horizonte zu verbringen, wo man sich ihrer standesgemäß annehmen würde. Sollte man sie vielleicht in der Taverne ausharren lassen oder gar in der ungeheizten Kirche? Unmöglich! Dennoch bemächtigte sich seiner unterwegs der irritierende Gedanke, dass seine schlaue Idee möglicherweise eine Dummheit gewesen war, und das nicht nur, weil die Leute sichtlich unter dem Geholper des Fuhrwerks litten. Viel beunruhigender war die Vorstellung, was der Patrão zu dem unerwarteten Besuch sagen würde, an einem Sonntagmittag, wo er bekanntlich nach dem Essen ein ausgedehntes Schläfchen zu halten pflegte, das ihm heilig war.
Die Befürchtungen des Padre erwiesen sich als grundlos. Das schmiedeeiserne Portal, das in zwei viertelkreisförmige Mauerpfosten eingelassen war, stand weit offen. Auf den weiß gestrichenen Pfosten prangte in aufwändig bemalten Azulejos der Name des Anwesens, »Quinta do Belo Horizonte«. Das macht einen guten Eindruck auf die Fremden, sagte sich Padre Alberto. Die Auffahrt zum Haupthaus lag schnurgerade vor ihnen, dank des Regens am Vortag nicht so staubig wie üblich. Sogar die Jasminsträucher entlang des Weges glänzten wie frisch gewaschen. Ein gutes Vorzeichen.
Dona Clementina ließ sich ihre Überraschung nicht anmerken. »Aber ja, Padre, das war eine kluge Entscheidung von Ihnen. Solche Männer lobe ich mir, Männer der Tat!« Sie bat die Besucher herein, bot ihnen eine Erfrischung an, kümmerte sich unauffällig
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