So weit der Wind uns trägt
selbst zurückschicken. Nur habe ich keine Adresse.« Und das Geld für eine Briefmarke auch nicht, dachte sie.
»Tja, wie du meinst. Ich weiß sie allerdings nicht aus dem Kopf, aber ich kann sie dir bei nächster Gelegenheit vorbeibringen.« Mariana war leicht pikiert. Traute ihr das Mädchen etwa nicht? Glaubte es, sie wolle den Manschettenknopf einfach behalten? Aber nein, das konnte ja wohl nicht sein. Sie betrachtete das Mädchen stirnrunzelnd, bevor ihre Gutgläubigkeit wieder die Oberhand gewann. Dann fiel ihr plötzlich etwas ein.
»Sag mal, bist du nicht die Schwester von Fernando Abrantes?«
»Ja, Menina Mariana, das bin ich.«
»Wie geht es ihm denn? Wir haben nie wieder etwas von ihm gehört, seit er fortgegangen ist.«
»Oh, sehr gut, Menina Mariana, danke der Nachfrage. Er macht jetzt eine Ausbildung zum Piloten.«
»Sag bloß! Na ja, ein Überflieger war er ja schon immer, nicht wahr?« Mariana kicherte über ihren eigenen Witz, und Maria da Conceição hielt es für angebracht, ebenfalls Belustigung zu zeigen, obwohl sie die Bemerkung eigentlich nicht komisch fand.
»Es ist nicht recht, sich über die Gesetze des Schöpfers hinwegzusetzen«, hörten die beiden jungen Frauen auf einmal die krächzende Stimme Dona Luisas. »Nur Vögel und Insekten können fliegen, und dabei sollte man es belassen.«
»Amen«, flüsterte Mariana so, dass die Alte es nicht hören konnte, und zwinkerte Maria da Conceição zu. Diesmal war deren Heiterkeit echt, und das gemeinsame unterdrückte Lachen und Glucksen knüpfte ein engeres Band zwischen den beiden, als jede noch so ausführliche Konversation es vermocht hätte.
Nachdem sie einander versprochen hatten, sich demnächst wiederzusehen und dabei die gewünschten Informationen auszutauschen – Mariana hatte um Fernandos Adresse gebeten –, ließ sich Mariana von dem Kutscher wieder nach Hause fahren. Seine Dienste wurden kaum noch benötigt, meist wurde der alte João als Hilfsgärtner eingesetzt. Dennoch nahm Mariana für kürzere Fahrten lieber ihn und das ramponierte Gefährt in Anspruch als das Automobil. Als Grund dafür gab sie vor, dass sie in der
aldeia
nicht unnötig Aufmerksamkeit erregen wolle. Tatsächlich aber war es so, dass ihr das Pferdegespann weit weniger Ehrfurcht einflößte als der laut knatternde, spuckende, schwarz rauchende Motor. Die moderne Technik machte Mariana Angst. Doch das würde sie niemals zugeben.
Sie war daher froh, dass niemand außer dem alten João miterlebte, wie bleich sie wurde, als ein Flugzeug ganz tief über sie hinwegflog. Es wackelte so bedenklich mit den Flügeln, dass Mariana sicher war, es würde jeden Moment auf sie herabfallen. Sie bekreuzigte sich und zog den Kopf ein. Der Kutscher nahm das ungeheuerliche Vorkommnis – es musste das erste Mal sein, dass einer dieser neuartigen Flugapparate über den Alentejo flog – mit mehr Gelassenheit auf. Er starrte in den Himmel und verfolgte jede Bewegung des furchterregenden Geräts mit neugierigem Blick. Er beruhigte die scheuenden Pferde, erhob sich von seinem Kutschbock und winkte dem Flugzeug zu.
»Sieht aus, als würde der Vogel uns grüßen«, erklärte er und zeigte bei dem Versuch zu lächeln seine braunen Zahnstummel. Dann setzte er sich wieder hin und konzentrierte sich darauf, die Pferde zum Weitertraben zu bewegen.
Mariana war sprachlos, allerdings nicht angesichts des verrückten Zufalls, dass Fernando genau heute, da sie sich nach ihm erkundigt hatte, seine Heimat überflog – denn dass der Pilot Fernando sein musste, daran hatte sie keinen Zweifel. Nein, was Mariana mehr als alles andere schockierte, war die Tatsache, dass der alte João von sich aus das Wort an sie gerichtet hatte.
Auf Belo Horizonte sprach man über nichts anderes als das unheimliche Spektakel, das man an diesem Tag am Himmel beobachtet hatte. Jeder wollte genauer als der nächste Bescheid wissen, jeder versuchte den anderen darin zu übertrumpfen, dass er die unglaublicheren Details wahrgenommen hatte. Selbst redescheue Menschen, etwa die neue Köchin Maria do Céu, flossen plötzlich vor Worten über, weil sie ihrer Bestürzung und Faszination Ausdruck verleihen mussten. Zufällig war Maria do Céu gerade im Gemüsegarten gewesen, als das Schauspiel sich ereignete – im Gegensatz zu dem Dienstmädchen Anunciação, das rein gar nichts davon mitbekommen hatte, nun aber diejenige war, die mit den abenteuerlichsten Anekdoten aufwarten konnte. »Und es hat mit dem
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