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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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grazile Figur bewahrt und wirkte sehr damenhaft und distinguiert. So war sie immer schon gewesen, dachte Dona Clementina. Ob es daran lag, dass sie die Älteste war? Prägten die Rolle und die Position, die man innerhalb einer Familie einnahm, die Menschen so sehr, dass sie sie für den Rest ihres Lebens beibehielten? In der Familie ihres Mannes Gustavo nahm Joana in keiner Hinsicht eine herausragende Stellung ein. Weder war sie die erste Schwiegertochter noch die erste Frau, die dem Grafen da Silva Barbosa Enkel schenkte. Sie war nicht die Älteste und nicht die Jüngste, nicht die Schönste und nicht die Hässlichste, nicht die Klügste und nicht die Dümmste. Dennoch konnte man, wenn man sie so sah, meinen, sie sei eine Königin. Ihre gerade Haltung, ihre erlesene Garderobe, ihr aristokratisches Gesicht und ihre besonnene Art – aus all dem sprach ein Selbstverständnis, wie es nur Erstgeborenen zu eigen sein kann. Dona Clementina war sehr stolz auf Joana.
    Beatriz dagegen machte ihr zunehmend Sorgen. Wieso interessierte sich kein Mann für sie? Sah denn keiner, welche Vorzüge Beatriz hatte? Sie war klug, diszipliniert und verantwortungsbewusst, verfügte also über Qualitäten, wie sie die Frau eines
latifundiários
benötigte. Und wenn sie auch keine Schönheit war, so hatte sie doch eine sehr hübsche Figur, wundervolles seidig-schwarzes Haar und perfekte weiße Zähne. Wusste man ihre etwas spröde Art richtig zu deuten, erkannte man in ihr eine Frau, die eine hingebungsvolle Gattin und Mutter abgäbe. Aber die Herren Söhne der umliegenden
montes
waren ja alle blind. Der junge Carlos hatte es vorgezogen, ein albernes, dümmliches Geschöpf aus Trás-os-Montes zu ehelichen, das über einen einzigen herausragenden Vorzug verfügte, den es in seinen tiefdekolletierten Kleidern schamlos zur Schau stellte. Der junge Manuel wiederum hatte den Zölibat einer Ehe mit Beatriz vorgezogen. Jetzt wurde die Zeit knapp. Ihre Zweitälteste würde demnächst siebenundzwanzig Jahre alt. Was, wenn Beatriz gar keinen Mann mehr finden würde? Dann, sagte sich Dona Clementina, hätten sie und José wenigstens eine Tochter im Haus, die sich um sie kümmern konnte, wenn sie einmal alt und schwach wurden. Sie fühlte sich sehr schuldbewusst angesichts dieses eigennützigen Gedankens.
    Isabel hatte sich durch die Ehe nicht im Geringsten verändert. Dass sie keine Kinder hatte, führte Dona Clementina darauf zurück, dass Isabel mit hoher Wahrscheinlichkeit für getrennte Schlafzimmer gesorgt hatte. Sie kannte ihre Tochter und deren perfide Methoden, sich materielle Vorteile zu erschleichen. Sie wäre jede Wette eingegangen, dass Isabel sich ihrem Ehemann verweigerte und nur dann ihren ehelichen Pflichten nachkam, wenn er sie mit einem neuen Perlencollier oder einer Diamantbrosche beglückte. Aber Isabel musste sich vorsehen: Wenn sie kinderlos blieb, würden nachher noch die Bastarde das Familienvermögen der Saramagos erben – und uneheliche Kinder, so glaubte Dona Clementina, hatte Raimundo sicher mehr als genug gezeugt. Ihr Schwiegersohn war ein notorischer Fremdgänger, dafür hatte sie ein Gespür, einen über die Jahre geschulten Instinkt. Sie würde Isabel nach den Feierlichkeiten einmal ins Gebet nehmen müssen. Und José sollte dasselbe mit Raimundo tun, der ihm so sehr ähnelte und den José wohl deshalb so gut leiden mochte.
    Mariana und Octavio eröffneten den Tanz. Sie waren ein hinreißendes Paar, und keiner der knapp hundert Anwesenden konnte sich der Faszination dieses Anblicks entziehen. Erstaunlich, wie leichtfüßig und anmutig diese beiden jungen Menschen sich übers Parkett bewegten! Sie verschmolzen zu einer so perfekten Einheit, dass man ihre plumpen Formen gar nicht mehr als solche wahrnahm, sondern sie für weich, rund und sehr harmonisch hielt. Dona Clementinas Herz lachte. Bald würden aus dieser Verbindung Kinder hervorgehen, niedliche, pausbäckige, anschmiegsame Enkel, ganz anders als die merkwürdig distanzierten und altklugen Kinder von Joana. Wenn sie es geschickt anstellte, konnte sie vielleicht sogar dafür sorgen, dass Mariana und Octavio auf Belo Horizonte blieben – irgendeiner musste sich ja um den Fortbestand des Anwesens kümmern –, und dann wollte sie, Dona Clementina, die kleinen fröhlichen Möpse nach Strich und Faden verwöhnen!
    Auch Jujú lächelte, als sie ihre Schwester und deren Verlobten tanzen sah. Sie freute sich sehr für Mariana. Endlich einmal eine romantische

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