So weit der Wind uns trägt
traurige Gewissheit eines endgültigen Verlustes erst jetzt zu ihr vorgedrungen. Doch es gelang ihr, ihre Gefühle zu verbergen. Förmlicher als beabsichtigt antwortete sie: »Ja, natürlich. Auch wenn er nicht aus unserer Klasse stammt, so ist er doch ein Alentejano. Da sieht man mal, was unsere Erde alles für Schätze hervorbringt.«
»Aber dein Schatz ist er ja nun nicht mehr«, flüsterte Beatriz ihrer Schwester ins Ohr.
»Genau so ist es!«, polterte ihr Vater, der die letzte Bemerkung nicht gehört hatte. »Die alentejanischen Männer sind ein ganz besonderer Schlag.«
Dona Clementina musste an sich halten, um ihrem Mann nicht in Erinnerung zu rufen, dass nicht er der tollkühne Pilot war. Überhaupt ging ihr die ganze Unterhaltung mächtig gegen den Strich. Hatten alle außer Beatriz den Verstand verloren? Als Carvalho zeigte man keine Bewunderung für einen Jungen von derart niedriger Herkunft, ganz gleich, was dieser geleistet hatte. Sie musste schleunigst das Thema wechseln.
»Die Männer vom Douro sollen ebenfalls ein ganz besonderer Schlag sein.« Sie lächelte ihre Jüngste verschwörerisch an. »Und ich glaube, dass wir in Rui einen exzellenten Schwiegersohn haben werden.«
»Wenn er denn jemals um Jujús Hand anhalten würde …«, sagte Beatriz leise vor sich hin, aber alle hörten es.
»Teufel auch, habe ich das etwa nicht erzählt?«, schrak ihr Vater auf. »Rui hat in der vergangenen Woche in Lissabon bei mir vorgesprochen. Ich denke, über den Inhalt des Gesprächs kann es keinen Zweifel geben. Und über meine Antwort auch nicht.« Er tätschelte Jujú die Hand und sah sie zärtlich an, als habe er erst jetzt, da ihr Abschied nahe war, erkannt, wie sehr er sie liebte. Sie erwiderte den Blick mit einem Achselzucken.
»Schön, dass Sie sich handelseinig geworden sind. Es wäre ja lächerlich, wollte man auch die Ware über ihren Verbleib informieren …«
»Juliana, spiel bitte nicht die Beleidigte!«, warf Dona Clementina ein. »Du hast uns allen deutlich zu verstehen gegeben, dass du ihn heiraten willst. Freust du dich denn nicht?«
»Doch.« Es klang alles andere als euphorisch.
»Na also. Ach, Kinder, ich freue mich! Ich habe mir schon so lange gewünscht, dass wir hier wieder eine schöne Verlobungsfeier geben können!«
8
D ona Clementinas Wunsch wurde wenige Monate später erfüllt – allerdings nicht von Jujú.
Marianas Verlobungsfeier wurde für den Karnevalssamstag 1916 festgesetzt. Um diese Zeit stand auf den Ländereien weniger Arbeit an als zu anderen Jahreszeiten. Auch waren die meisten wohlhabenden Portugiesen im Land geblieben, weniger wegen des Krieges als vielmehr deshalb, weil Februar und März in nördlicheren Teilen Europas als besonders garstige Monate galten. Das Datum war also nicht schlecht gewählt, wollte man sicherstellen, dass möglichst viele Gäste kamen.
Und das wollten José und Clementina Carvalho. Ihre Tochter würde eine unerwartet gute Partie machen, mit der niemand mehr gerechnet hatte. Von ihnen allen unbemerkt hatte sich eine Briefromanze zwischen Mariana und dem zweitältesten Sohn dieses Großgrundbesitzers aus der Algarve entsponnen, der vor einer halben Ewigkeit mit einer Reifenpanne bei ihnen aufgeschlagen war. Obwohl Octavio in der Erbfolge nicht ganz vorn stand, würde er eines Tages steinreich sein – und er hatte Gefallen an ihrer kleinen pummeligen Mariana gefunden. Wenn das kein Grund zum Feiern war! Im Grunde nebensächlich, für Dona Clementina jedoch ein weiterer Grund zur Freude, war die Tatsache, dass Mariana sehr verliebt in den jungen Mann war – und er in sie. Es war rührend, die beiden zu beobachten: wie sie verstohlen ihre dicken Händchen tätschelten; wie sie einander verschämte Blicke zuwarfen; und wie sie beide erröteten, wenn die Sprache auf eheliche Pflichten oder andere pikante Themen kam. Sie hätten Geschwister sein können, Mariana und ihr Octavio, so sehr ähnelten sie sich auch äußerlich. Octavio war ein dicklicher Jüngling mit sehr hübschen Gesichtszügen, der, wenn er den Kinderspeck noch loswurde, sicher zu einem sehr gutaussehenden Mann heranreifen würde. Vorausgesetzt natürlich, Mariana setzte ihm und sich selber künftig nicht ausschließlich die nahrhafte Kost vor, die sie bevorzugte.
Nach langer Zeit war die Familie Carvalho endlich wieder einmal vereint. Geändert hatte sich wenig. Joana war inzwischen Mutter von vier Kindern, eines verzogener als das andere, hatte sich aber ihre
Weitere Kostenlose Bücher