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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Kopf gewackelt, als wollte es mir zunicken!«, rief sie und beeindruckte die anderen Dienstboten zutiefst.
    Im Salon hielten sich die Spekulationen in vernünftigen Grenzen. Flugzeuge gab es schließlich schon länger, die Fliegerei durfte einem aufgeklärten Menschen eigentlich keine Angst mehr einjagen. Sie tat es trotzdem. Natürlich überließ man dem einzigen Mann im Haus, José Carvalho, die Ehre, am meisten darüber wissen zu dürfen. Jujú hatte arge Zweifel daran, dass ihr Vater jemals auch nur einen Flugapparat aus der Nähe gesehen hatte. Ganz wie sie alle hielt er das Fliegen insgeheim für eine Art von Zaubertrick, bei dem es nicht mit rechten Dingen zuging. Aber hatte man dasselbe anfangs nicht auch von der Eisenbahn, den Automobilen, dem Telefon, dem Zeppelin und den kinematografischen Vorführungen gedacht? Wahrscheinlich beruhte alles auf einfach erklärbaren physikalischen Gesetzen – von denen sie nur leider alle keine Ahnung hatten. Doch vor seinen Töchtern und seiner Frau konnte er es sich kaum erlauben, in das abergläubische Gerede mit einzufallen.
    Mariana gelang es nur, die mit Abstand interessanteste Einzelheit bis zum Schluss für sich zu behalten, indem sie sich pausenlos an dem bereitgestellten Gebäck gütlich tat. Sie schmunzelte, als alle sich irgendwann fragten, was den Piloten veranlasst haben mochte, über ihre Gegend zu fliegen.
    »Bestimmt wollte er sein Liebchen beeindrucken«, mutmaßte Dona Clementina.
    »Weibergewäsch!«, brummte José Carvalho. »Es war bestimmt ein Aufklärungsflug, wegen des Krieges.«
    »Und wen wollte er wohl worüber aufklären? Den ›Feind‹ über die Anzahl unserer Korkeichen?«, rutschte es Beatriz heraus, die damit einen wütenden Blick ihres Vaters erntete.
    »Ich weiß, wer der Pilot war«, meldete sich schließlich Mariana zu Wort. »Ich weiß, wie er heißt, und ich kenne auch den Grund seines Fluges.«
    Ihr Ton ließ alle anderen verstummen.
    Sie sah bedeutungsvoll in die Gesichter ihrer Eltern und ihrer Schwestern.
    »Nun sag schon!«, rief Jujú. »Und wehe, es ist wieder eine Ausgeburt deiner romantischen Phantasien!«
    »Ist es nicht, obwohl es vielleicht …« Mariana bremste sich gerade noch rechtzeitig. Sie konnte ja wirklich nicht wissen, ob das Winken mit den Tragflächen Jujú gegolten hatte. Es war sogar unwahrscheinlich. Es war wohl eher für seine Schwester gedacht, von der Fernando wusste, dass sie in der
aldeia
lebte, während er von Jujús Verbleib vermutlich keine Ahnung hatte.
    »Bitte, Mariana, Schätzchen. Spann uns nicht länger auf die Folter!« Dona Clementina, leicht befremdet von sich selbst, ihrem zärtlichen Ton sowie der Zurschaustellung ihrer Neugier, straffte die Schultern, stellte die Schale mit dem Gebäck fort von ihrer Tochter und räusperte sich. »Hättest du nun bitte die Güte, uns in dein Geheimnis einzuweihen? Sobald du diesen Keks aufgegessen hast, versteht sich.«
    »Fernando Abrantes!«, platzte Mariana heraus, bevor sie heruntergeschluckt hatte.
    »Dieser treulose, undankbare Verwalter? Das kann doch nicht dein Ernst sein!« José Carvalho klang ungehalten.
    »Doch, ich schwöre es. Das heißt, gesehen habe ich ihn natürlich nicht in diesem Doppeldecker, aber es kann nur er gewesen sein. Seine Schwester, ihr wisst schon, das Dienstmädchen von Padre Alberto, hat mir gerade heute erzählt, dass ihr Bruder Pilot geworden ist.«
    Alle schnatterten durcheinander. Die Neuigkeit ließ kein Familienmitglied unberührt. In José Carvalho löste sie eine Art väterlichen Stolzes aus, so als habe der junge Abrantes nur seiner Fürsprache und Förderung diesen bemerkenswerten Werdegang zu verdanken. Dona Clementina fühlte sich in der Ehre ihres Standes getroffen – es erschien ihr ungut, dass ein Bauernbursche auf so schamlose Weise aus seinem angestammten Platz in der Welt ausbrach. Beatriz hob die Augenbrauen: »Hoch hinaus wollte er ja schon immer. Aber irgendwann wird er tief fallen.« Mariana war die Einzige, die sich aufrichtig für Fernando freute. »Was habt ihr nur alle? Es ist doch wunderbar, wenn einer es aus eigener Kraft schafft, ein besseres Leben zu führen. Jujú, siehst du das nicht auch so?«
    In Jujús Kopf überlagerten sich die widersprüchlichsten Gedanken, Bilder und Erinnerungen. Lange hatte sie gar nicht mehr an Fernando gedacht, doch plötzlich war er ihr wieder so präsent, als wäre er gerade erst zur Tür hinausspaziert. Ein Schatten legte sich über ihr Herz, als sei die

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