So weit der Wind uns trägt
mag, wie sie ist«, platzte Mariana heraus. Jujú und Isabel verdrehten die Augen. Unter den Schwestern war es ein offenes Geheimnis, dass der schielende Sohn des Verwalters Beatriz den Hof machte. Aber die Eltern mussten ja nicht unbedingt etwas davon erfahren. Anders als befürchtet jedoch hakte José Carvalho nicht weiter nach, sondern beschränkte sich auf eine herabwürdigende Antwort, die der Wahrheit unfreiwillig nahe kam.
»Mit der Sehkraft des Trottels scheint es nicht zum Besten zu stehen.«
Jujú und Isabel unterdrückten ein Lachen, während Mariana laut losprustete. Beatriz starrte mit regloser Miene auf ihren noch halb vollen Teller. Sie runzelte die Brauen über ihren eng zusammenstehenden Augen und schluckte an den Beleidigungen ihres Vater ebenso schwer wie an dem Essen. Vielleicht sollte sie doch mit João durchbrennen? Sie war es langsam leid, dass immerzu auf ihr herumgetrampelt wurde. Was konnte sie dafür, dass sie kein Puppengesicht wie Jujú hatte, nicht das sonnige Gemüt Marianas, nicht die kokette Art Isabels und nicht die natürliche Eleganz Joanas? Warum hatte ausgerechnet sie die Nase ihres Vaters und die dürre Statur der Mutter geerbt? Warum vereinten sich gerade in ihr das spröde Wesen der Alentejo-Bauern mit einem scharfen Verstand, der ihr diese Ungerechtigkeit in aller Klarheit vor Augen führte?
»Es gibt heute Abend wahrhaftig keinen Grund zum Lachen«, rügte Dona Clementina ihre Töchter. Sie tätschelte Beatriz’ Arm: »Und du brauchst den Teller nicht leer zu essen, wenn du satt bist.« Sie hatte größtes Verständnis für die Appetitlosigkeit ihrer zweitältesten Tochter, und insgeheim gefiel ihr der hochgewachsene, schlanke Körper von Beatriz viel besser als etwa die gedrungene Gestalt Marianas.
»Darf ich deine Kartoffeln haben?«, fragte Letztere nun. Die Schüssel war leer, der Teller vor ihr bis auf den letzten Tropfen Sauce ausgewischt.
»Wenn du weiter so viel Essen in dich hineinstopfst, wird dich auch kein Mann wollen«, herrschte José das Mädchen an.
»Aber hast du nicht eben selber gesagt, dass …«
»Üppige Rundungen an den richtigen Stellen, ja. Aber mit einem Doppelkinn und der Form eines Weinfasses wirst du keine gute Partie machen.«
»Was sind denn die richtigen Stellen?«, wollte Mariana wissen, nicht im Geringsten getroffen und mit unvermindertem Appetit auf den Teller ihrer Schwester schielend.
Wieder lachten Jujú und Isabel verhalten, doch Dona Clementina beschied sie zu schweigen.
»Das reicht jetzt. Ich glaube nicht, dass das ein angemessenes Thema für ein Tischgespräch ist. Juliana«, wandte sie sich an ihre Jüngste, »berichte uns doch von deinen Fortschritten am Pianoforte. Ich habe dich gestern spielen gehört, es klang schon sehr gefällig.«
»Ja, Mãe, ich denke, ich habe bei Senhor Geraldo viel gelernt. Inzwischen spiele ich die Arpeggien der Etüde No. 11 in Es-Dur schon sehr flüssig.« Das war eine maßlose Übertreibung, aber Jujú wusste, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, sich über die Schwierigkeiten von Chopin, den langweiligen Klavierunterricht oder gar die Blicke des Lehrers zu beklagen, die weniger auf ihren Fingern als vielmehr auf ihrem Dekolleté lagen.
»Das wurde auch Zeit«, warf ihr Vater ein. »Dieser Kerl kostet mich ein Vermögen – und das ewige stümperhafte Geklimpere war kaum noch zu ertragen.«
»Nun, mein Lieber, allzu oft musstest du es dir in letzter Zeit ja nicht anhören, nicht wahr?« Kaum, dass sie es ausgesprochen hatte, ärgerte Dona Clementina sich über ihren Mangel an zur Schau gestellter Sanftmut. Sie wollte ihren Mann nicht für seine Eskapaden zur Rechenschaft ziehen, schon gar nicht vor den Kindern. »Ich meine, bei deinen vielen Verpflichtungen bist du ja kaum zu Hause. Denn sonst hättest du vielleicht auch schon bemerkt, dass nicht nur Juliana, sondern auch Isabel sich einer bemerkenswerten musikalischen Neigung erfreut.«
José Carvalho sah Isabel zweifelnd an. Er bekam zwar nicht viel von dem mit, was seine Frau und seine Töchter den ganzen Tag zu Hause trieben, doch ein Narr war er nicht. Und eines war sicher: Wenn es einen Menschen auf der Welt gab, dem jedes Talent für die Musik abging, dann war es Isabel.
Diese sah ihren Vater aus den Augenwinkeln an, schaute jedoch sofort wieder weg, als sie seine Skepsis wahrnahm. Nervös nestelte sie an ihrer Serviette herum. Wenn ihr Vater herausbekam, was es mit ihrer plötzlichen Musikalität auf sich hatte,
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