So weit der Wind uns trägt
die ihr in der Verbindung mit dem jungen Lissabonner Anwalt Raimundo de Saramago zugutekommen würden. Zudem war sie recht hübsch – noch jedenfalls, denn Dona Clementina erkannte an den oft zusammengekniffenen Lippen und dem allzu häufigen Runzeln der Stirn einen vorzeitigen Verfall dieser jugendlichen Aura. Isabel würde in zehn, höchstens fünfzehn Jahren streng und verbittert aussehen.
Viel mehr Grund zur Besorgnis bestand derzeit bei Juliana. Sie war zweifelsohne die schönste ihrer Töchter, obendrein war sie mindestens so intelligent wie die arme Beatriz. Sie würden für Juliana einen hervorragenden jungen Mann finden, aus noch besserer Familie womöglich als Isabels Doutor Raimundo, von älterem Adel als ihr Schwiegersohn Gustavo, der mit Joana in Porto lebte, und mit mehr Vermögen, als sie selbst es hatten. Seit Juliana endlich aufgehört hatte, wie ein Bauernlümmel auf Bäume zu klettern oder mit lehmverklumpten Schuhen zum Nachmittagstee aufzukreuzen, waren ihre Chancen bei den möglichen Bewerbern um ein Vielfaches gestiegen.
Wenn Juliana nur nicht so geheimniskrämerisch wäre! Dona Clementina ließ sich nicht von dem Liebreiz, dem unschuldigen Augenaufschlag und der neuerdings beinahe damenhaften Art ihrer Jüngsten hinters Licht führen. Irgendetwas heckte Juliana aus, das spürte Dona Clementina. Hoffentlich hatte nicht wieder dieser unmögliche Junge aus dem Dorf damit zu tun. Aber nein, selbst Juliana war mittlerweile alt genug, um zu erkennen, dass ihr Freund aus Kindertagen heute nicht mehr viel mit ihr gemein hatte. Ein ungehobelter Kerl ohne Manieren und ohne Bildung, das war er, noch dazu, so hieß es, das Ergebnis eines Fehltritts seiner Mutter. Heilige Jungfrau Maria – und so einer hatte es gewagt, sich überhaupt in der Nähe von Juliana aufzuhalten! Wenn sie ihr nicht im vergangenen Jahr den Umgang mit dem Burschen verboten hätten, würde Juliana ihn wahrscheinlich immer noch auf dem Rücken eines Maultieres begleiten, sich Flöhe holen und mit aufgeschrammten Knien herumlaufen. Doch obwohl sie dem schlechten Einfluss anscheinend erfolgreich entgegengewirkt hatten, führte Juliana irgendetwas im Schilde. Und Dona Clementina würde herausfinden, was es war.
»Dürfen wir uns jetzt auch zurückziehen?« Mariana leckte sich die Finger ab, mit denen sie sich den letzten Happen ihres Tortenstückes einverleibt hatte. An dem Dessert, dem letzten Versuch der Köchin Leonor, die Familie heute doch noch zum Essen zu verführen, hatte sich außer ihr niemand beteiligt.
José Carvalho nickte ungeduldig und gab seinen Töchtern mit einer Handbewegung, die dem Wegwedeln eines Insektes fatal ähnelte, die Erlaubnis zu gehen. Dona Clementina nickte ebenfalls. »Ja, das dürft ihr. Und vergesst nicht, den armen König und seinen Sohn in euer Abendgebet mit einzuschließen. Und den jungen Manuel, auf dessen Schultern jetzt alle Verantwortung für das Fortbestehen unseres Königreiches liegt.«
Mariana sah ihre Mutter ernst an. Ja, für den Prinzen würde sie gerne beten. Sie hatte Bilder von ihm in ihrem Tagebuch gesammelt, Fotografien, die sie aus den ausgelesenen Zeitungen ihres Vaters ausgeschnitten hatte. Er war ein unbestreitbar hübscher junger Mann, mit einem weichen Gesicht, warmen braunen Augen und einer Miene, aus der Sensibilität und Vernunft gleichermaßen sprachen.
Beatriz hob die Augenbrauen, eifrig bemüht, Gehorsam in ihre Mimik und Gestik zu legen. »Aber ja. Gute Nacht, Pai, Mãe.« In Wahrheit grübelte sie darüber nach, wie sie unauffällig das Haus verlassen konnte, während ihre Eltern im Salon saßen, die Dienstboten noch in der Küche oder im Haushaltstrakt beschäftigt waren und ihre Schwestern die Zimmer in der ersten Etage bevölkerten und dort womöglich gerade aus den Fenstern sahen. Warum auch waren Jujú und Mariana nicht ins Internat gekommen, so wie Joana, sie selbst und Isabel?
Auch Jujú nickte beflissen. »Ja. Schlafen Sie gut, Mamã.« Sie ging zu ihrem Vater und gab ihm ein Küsschen auf die Wange. »Ihnen auch eine gute Nacht, Papá.« Sie hatte gelernt, wann es angebracht war zu widersprechen und wann zu schweigen. Und jetzt war es eindeutig klüger, sich still zurückzuziehen. Sie wäre gerne noch länger hier bei den Eltern geblieben und hätte die Gelegenheit wahrgenommen, endlich einmal mit ihnen allein zu sprechen, ohne dass Mariana dazwischenplapperte, Isabel sie verhöhnte oder Beatriz mit ihrer Erwachsenheit angab.
Sie zog sacht die Tür
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