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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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ungewöhnlich lange mit ihrer Antwort. Es war auf einmal mucksmäuschenstill in der Kirche. Einzig die wippenden Beinchen des Kindes, das hinter Casimiro da Cunha saß und dessen Füße in einem regelmäßigen Takt gegen die Holzbank schlugen, waren zu hören.
    Allerdings nicht bis ganz vorn.
    Vor dem Altar herrschte Grabesstille.
     
    Jujú sah die vergangenen Wochen in einer schnellen Abfolge von Bildern an sich vorbeiziehen, die beinahe so verwackelt und albern wirkten wie die kinematografischen Vorführungen in Bejas einzigem Filmtheater. Nur dass sie nicht zum Lachen gewesen waren.
    Sie hatte ihren eigenen Kampf gefochten. In ihrem Herzen hatten Zweifel und ohnmächtiger Selbsthass gewütet, die sich in ihrer Gewalt mit der Barbarei auf den Schlachtfeldern von Ypern oder Verdun durchaus messen konnten. Liebend gern hätte sie mit einem Soldaten die Rollen getauscht. Die wussten wenigstens, wer der Feind war, auf wen sie schießen mussten. Sie dagegen wusste nicht einmal, wer der Vater ihres Kindes war.
    Vielleicht hätte sie sich freuen können. Wenn sie genau gewusst hätte, dass Rui der Vater war, hätte sie ruhigen Gewissens die Ehe mit ihm eingehen können, die ihre Mütter schon so lange für sie planten. Hätte sie mit Sicherheit sagen können, dass Fernando der Vater war, hätte sie sich, trotz aller zu erwartenden Widerstände, freudig mit ihm vermählt. Aber so? Manche Dinge weiß man einfach? Ha! Wenn sie das noch bis vor einigen Wochen geglaubt hatte, so wusste sie es jetzt besser. Manche Dinge weiß man eben einfach nicht, und es gibt keine Möglichkeit, sie in Erfahrung zu bringen. Außer Abwarten.
    Wenn ihr Kind erst auf der Welt war, würde man schon sehen, von wem es war. Jujú versuchte sich vorzustellen, wie Rui geringschätzig auf ein grünäugiges Baby herabblickte. Der Gedanke war zu furchtbar, um ihn in allen Konsequenzen weiterzudenken. Noch schrecklicher wäre allerdings der Moment, in dem Fernando im Antlitz seines vermeintlichen Sohnes die Züge seines Rivalen entdeckte. Niemals würde sie ihm so etwas antun können.
    Aber bei einem der beiden Männer musste sie schließlich das Risiko eingehen, dass die niederschmetternde Wahrheit ans Licht kam. Damit, dass er sie für ein leichtfertiges Flittchen hielt, würde sie leben können, nicht aber damit, dass er das Kind verabscheute. Die arme kleine Kreatur sollte nicht ausbaden müssen, was sie verbrochen hatte. Sie war nicht besser als Deolinda. Sie hatte sich innerhalb von vier Tagen zwei Männern hingegeben, und zwar willig. Himmel auch, wie konnte sie nur?! Wo war ihr Verstand gewesen? Wo ihr Anstand? Wie konnte sie auch nur daran denken, einem der beiden möglichen Väter die Schande zuzumuten, mit ihr eine Ehe einzugehen? Aber was blieb ihr anderes übrig? Und vielleicht ging ja auch alles gut. Die Chancen standen immerhin fünfzig zu fünfzig, dass das Kind von dem Mann war, dem sie das Jawort gab.
    Jujú hatte versucht, sich selber als Senhora Abrantes sowie als Senhora da Costa vorzustellen. Sie hatte sogar beide Namen laut vor sich hin gesprochen. Doch die Hoffnung, in den praktischen Aspekten des Ehealltags eine Lösung zu finden, zerschlug sich rasch. Beide Entwürfe hatten Vor- und Nachteile.
    Wäre sie als Senhora Abrantes zwar nur die Frau eines nicht besonders ranghohen Militärs und die Schwiegertochter einer sehr einfachen Frau wie Dona Gertrudes, so hätte sie doch wenigstens Fernando an ihrer Seite gehabt. Solange sie in seinen Armen liegen konnte, war es ihr egal, ob es sich bei ihrer Statt um eine unbequeme Pritsche oder ein gemütliches Himmelbett handelte. Wenn er denn bei ihr läge – als Pilot wäre er bestimmt nicht oft zu Hause, schon gar nicht jetzt, mitten im Krieg.
    Als Senhora da Costa dagegen würde sie auf Sicherheit und Komfort nicht verzichten müssen. Sie konnte ihren gewohnten Lebensstil beibehalten. Sie müsste ihrem Mann nicht erst die Feinheiten der französischen Küche oder den korrekten Gebrauch der vielfältigen Bestecke zu beiden Seiten des Tellers beibringen. Ebenso wenig würde sie sich für geflickte Kleidung, rutschende Kniestrümpfe oder billige Manschettenknöpfe schämen müssen. Aber wollte sie den Rest ihres Lebens mit Rui verbringen, nur weil sein Geschmack erlesener und sein Stilempfinden besser geschult war als Fernandos?
    Nein.
    Sie wollte Fernando heiraten. Was spielte seine bäuerliche Herkunft schon für eine Rolle? Ein Mann wie er, eine Ausnahmeerscheinung, wie sie Familien

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