Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
Vom Netzwerk:
vom Schlag der Abrantes’ vielleicht einmal in hundert Jahren hervorbrachten, würde seine Wurzeln kappen. Er hatte ja jetzt schon hinreichend bewiesen, dass er in der Lage war, sich über die Grenzen, die seine bescheidene Abstammung ihm auferlegt hatte, hinwegzusetzen. Bei allem anderen würde Jujú ihm zur Seite stehen. Sie würde sich darum kümmern, dass er sich bei gesellschaftlichen Anlässen nicht zum Gespött der Leute machte. An Tagen, an denen er keine Uniform tragen musste, würde sie die Kleidung für ihn aussuchen und bereitlegen – das taten andere Ehefrauen, einschließlich ihrer eigenen Mutter, ja auch –, damit er nicht aussah wie ein Bauer, der sich für die Kirche fein gemacht hatte. Sie würde ihn an die Gepflogenheiten bei Tisch heranführen und an Sportarten, wie wohlhabende Leute sie ausübten. Er war intelligent und gelehrig und jung genug, um in wenigen Jahren gar nichts mehr von seiner Herkunft erkennen zu lassen.
    Unmittelbar nachdem sie diesen Gedanken gehabt hatte, schämte Jujú sich für ihre Oberflächlichkeit und ihre Arroganz. Fielen solche Dinge wirklich ins Gewicht? Würde es irgendetwas an ihren Gefühlen für Fernando ändern, wenn er Tennis oder Golf spielte, wenn er seinen schweren alentejanischen Akzent ablegte, wenn er das Weinglas richtig hielt oder wenn er es sich endlich abgewöhnte, immer geräuschvoll die Nase hochzuziehen und den Schleim auf die Straße zu spucken?
    Ja.
    Vielleicht.
    Nein! Was war sie nur für eine dumme Pute! All seine schlechten Angewohnheiten und sein provinzielles Gehabe kannte sie doch nun wahrhaftig lange genug. Er war als Kind ihr bester Freund gewesen. Er war ihre erste Jugendliebe gewesen. Und als sie schon geglaubt hatte, diesen Abschnitt ihres Lebens für immer hinter sich gelassen zu haben, hatte sie sich erneut in ihn verliebt. Was auch immer sie an ihm auszusetzen hatte: Nichts wog so schwer, als dass sie auf ihn verzichtet hätte. Mit einer Ausnahme.
    Ihrem Kind.
    Wenn Rui nun der Vater war? Jujú malte sich den Moment des Erkennens aus, den Moment, in dem Fernandos Miene zu einer Fratze des Grauens erfror. Wenn er in dem kleinen Menschenbündel, das er bis dahin geliebt und geküsst und gestreichelt hätte, mit einem Mal die Züge des anderen erkannte. Wenn er ihr in die Augen sähe – ungläubig, hasserfüllt, unversöhnlich. Diesen Moment würde sie nie erleben wollen. Und noch viel weniger wollte sie, dass Fernando ihn je erlebte.
    Ihm würde das Herz brechen. Ihr würde das Herz brechen.
    Jujús Selbstzerfleischung gipfelte in der Vorstellung, wie Fernando das Kind des anderen schließlich doch akzeptierte, ihr hingegen nie wieder mehr als Höflichkeit entgegenbrachte, wenn überhaupt. Er würde sie für immer spüren lassen, was sie ihm angetan hatte. Der tödlich verwundete Ausdruck in seinen Smaragd-Augen würde eines Tages einem Blick weichen, aus dem nur Kälte sprach. Das würde sie sich ersparen. Und ihm ebenfalls. Sie würde aus Liebe zu Fernando Rui heiraten.
    Auch das würde Fernando das Herz brechen. Aber wenigstens würde er dann die Gründe woanders vermuten als in einer ungeklärten Vaterschaft. Er würde vielleicht glauben, dass sie, das Luxusgeschöpf, sich letztlich doch für die bequemere Lösung entschieden hatte. Er würde sie dafür verabscheuen, und er würde darüber hinwegkommen. Irgendwann würde er eine andere Frau finden, die ihn diesen Schmerz vergessen ließ. Er würde nicht für den Rest seiner Tage an der Seite einer Frau verbringen müssen, die ihm das Kind eines anderen untergeschoben hatte und für die er im Laufe der Jahre bestenfalls Gleichgültigkeit übrig hätte.
    Um Fernandos Seelenfriedens willen würde sie den größten Verzicht ihres Lebens üben. Und irgendwann einmal würde sie auch sich selber wieder in die Augen sehen können.
    Aber was war das für eine Zukunft? Wie sollte sie das Leben an Ruis Seite ertragen, wenn sie nie wieder Fernandos Zärtlichkeiten empfangen würde, seinen heißen Atem auf ihrer Haut spürte, seine leidenschaftlichen Küsse auf ihren Lippen schmeckte? Nie wieder würde sie seinen schönen Körper berühren dürfen, nie mehr das Spiel und die Kraft seiner Muskeln fühlen, wenn er sie hochhob, nie mehr das Funkeln in seinen Augen aus nächster Nähe beobachten dürfen oder seine schweren, dicht bewimperten Lider, wenn sie sich im Augenblick der Ekstase herabsenkten. Wollte sie für immer auf den Klang seiner Stimme verzichten, bei der es sie heißkalt

Weitere Kostenlose Bücher