So weit der Wind uns trägt
überlief, wenn er ihren Namen flüsterte? Konnte sie ohne die Erregung leben, die auch sein Ehrgeiz, sein Stolz und sein Geist in ihr auslösten? Konnte sie wirklich Rui heiraten? Oh Gott, nein!
»Ja, ich will«, hörte Senhor da Cunha die bezaubernde Braut hauchen. Alle Anwesenden atmeten auf. Er selber wischte sich nun doch eine Träne aus den Augenwinkeln. Ach, Hochzeiten waren immer so bewegend – je älter er wurde, desto rührender fand er sie. Er schämte sich ein wenig für seine sentimentalen Anwandlungen.
Nachdem die Zeremonie beendet war und das Brautpaar die Kirche verlassen hatte, stellte Senhor da Cunha sich in die Schlange der Gratulanten. Jeder wollte die Braut küssen, dem Bräutigam gute Wünsche und Ratschläge mit auf den Weg geben, seiner Freude über das junge Glück Ausdruck verleihen. Als die Reihe endlich an ihm war, hatte er im Geiste bereits eine sehr erbauliche Ansprache vorbereitet, doch die wunderschöne Braut, in deren Augen ebenfalls Tränen glänzten, ließ ihn nicht aussprechen. »Ach, mein lieber Senhor Cunha, lassen Sie es gut sein. Ihr Magen knurrt ja noch lauter als meiner. Kommen Sie, ein Festmahl wartet auf uns.«
Casimiro versuchte sich seine Konsternation nicht anmerken zu lassen. Eine so profane Äußerung passte nicht zu einer frisch vermählten jungen Dame. Konnte sie nicht etwas Elegischeres sagen, etwas Romantisches, etwas Erhabenes? Wie konnte sie nur, in einer der wichtigsten Stunden eines erfüllten Frauenlebens, ans Essen denken? Doch plötzlich wich seine Bestürzung einer wohlwollenden Anteilnahme. Natürlich, wie hatte er nur so gedankenlos sein können? Wenn es noch eines Beweises bedurft hatte, dass die Braut in anderen Umständen war, dann hatte sie ihm den soeben geliefert. »Aber gern, meine liebe Mademoiselle, äh, Verzeihung: Madame Juliana, begeben wir uns an die Festtafel, die trotz der widrigen weltpolitischen Umstände sicher überreich gedeckt ist.«
Jujú nickte dem älteren Mann freundlich zu, obwohl sie seine salbungsvolle Art als unerträglich empfand. Dann hakte sie sich bei ihrem frisch angetrauten Ehemann unter und schritt zu der Kutsche, die sie nach Belo Horizonte bringen würde. Der Jubel der Hochzeitsgäste begleitete ihre Abfahrt.
Erst auf halbem Weg zur elterlichen Quinta, die nun nicht mehr ihr Zuhause wäre, wandte Jujú sich dem Mann an ihrer Seite zu – als hätte sie sich vorher nicht getraut, ihn in dem Wissen anzusehen, dass er nun ihr Gatte war. Sie konnte es selber noch nicht so recht glauben. Doch ihr fehlten die Worte, um diese merkwürdigen Empfindungen zur Sprache zu bringen, so dass sie schließlich, nur um das Schweigen endlich zu durchbrechen, sagte: »Der liebe Senhor da Cunha wird sicher enttäuscht sein, dass der Champagner nicht mehr so reichlich fließt wie noch vor einem halben Jahr.«
Ihr Mann sah sie stirnrunzelnd an. Ihr erster vollständiger Satz als seine Ehefrau, und er handelte weder vom ihrem Glück noch von der Nervosität, die sie beide heute gespürt hatten. Er handelte von Senhor da Cunha, einem verknöcherten Junggesellen, mit dem sie beide nicht das Geringste zu schaffen hatten.
»Nun ja«, erwiderte er, »verdursten wird schon keiner.«
»Nein«, sagte Jujú, »sicher nicht.« Sie dachte an die Getränkevorräte und daran, was sie noch heute Morgen erledigt hatte.
Im Vorratsraum hatte sie eine hübsche, stabile Weinkiste entdeckt, in der sechs Flaschen eines äußerst erlesenen
Vinho do Porto
angeliefert worden waren. Sie hatte die Flaschen achtlos auf den Boden gestellt und die Kiste mit auf ihr Zimmer genommen, wo sie anschließend jede Schublade, jedes Regalfach und jeden geheimen Winkel nach Spuren von Fernando durchging.
Das Foto, das er ihr bei ihrem letzten Rendezvous gegeben hatte, landete ebenso in der Kiste wie ein paar uralte Briefe, die er ihr als Siebzehnjähriger geschrieben hatte. Weiterhin warf Jujú vier Bücher in die Kiste, die sie für ihn besorgt hatte und die, weiß Gott wieso, bei ihr im Regal vergessen worden waren. Technikbücher, wahrscheinlich ohnehin schon veraltet. Auch ein Schal, den er ihr vor Jahren umgelegt und den sie ihm nie zurückgegeben hatte, landete in der Kiste. Sie verbot sich, an dem Schal zu schnuppern und einen letzten Hauch des vertrauten, geliebten Duftes aufzunehmen. Schnell legte sie eine Kreppblume darauf, die er ihr einmal gebastelt hatte. Zu guter Letzt verschwand das kostbarste Stück in der Kiste: eine kleine ovale Kupfermünze,
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