So weit der Wind uns trägt
selber konnte durchaus noch Nachwuchs zeugen. Er war mit seinen 49 Jahren ganz sicher nicht zu alt dafür. Und er war, was man gemeinhin unter einer »guten Partie« verstand. Er saß im Vorstand der zweitgrößten Bank Portugals, verfügte über ein ererbtes altes Vermögen, hatte eine Sommerresidenz in Sintra und verkehrte in den besten Kreisen. Sein Ruf war untadelig, desgleichen sein Aussehen. Nun, er war kein Jüngling mehr – sein graues Haupthaar lichtete sich, seine Backen und Mundwinkel gehorchten zunehmend der Erdanziehungskraft, doch sein prachtvoller Vollbart verdeckte diese Spuren des Alterns aufs Raffinierteste. Als unattraktiv empfand Casimiro da Cunha sich keineswegs.
Er versuchte, einen Blick auf die Schwester der Braut zu erhaschen, die in der ersten Reihe saß. Selbst von hinten war sie nicht sehr hübsch anzusehen. Sie trug einen altmodischen Hut, und die Umrisse ihres Rückens unter dem leichten Mantel waren kantig. Aber, dachte Senhor da Cunha, wozu brauchte er aufregende Kurven? Es gab sicher hässlichere Frauen als Beatriz Carvalho. Und ganz gewiss dümmere, ärmere, unkultiviertere. Wie alt mochte sie sein, 28 , 30 ? Kinder konnte sie auf alle Fälle noch bekommen. Ja, sie wäre ideal – und die Verbindung mit der Familie Carvalho ausgesprochen vorteilhaft. Gleich nach der Zeremonie würde er sie einmal ansprechen. Sie gehörte, so viel stand für ihn fest, nicht zu den begehrten und daher arroganten Frauen, die einen eher unscheinbaren Mann wie ihn sofort abblitzen ließen. Ganz gewiss war sie klug genug, seine Vorzüge im richtigen Licht zu betrachten und sich nicht von dem Altersunterschied blenden zu lassen.
Neben Beatriz saßen die Eltern der Braut, die Senhor da Cunha ebenfalls nur von hinten sah. José, der alte Schwerenöter, hatte bereits einen Kahlkopf, und Dona Clementinas schwarzes Haar war von weißen Strähnen durchzogen. Dabei waren sie jünger als er selber, ging ihm plötzlich auf. Vielleicht wären sie von ihm als Schwiegersohn nicht so angetan, wie er es sich erhoffte. Ach, Mumpitz – bei ihm wussten sie ihre Tochter wenigstens in guten Händen, da wäre sein Alter doch das geringste Problem.
Ein Kind in der Reihe hinter ihm, das schon die ganze Zeit zappelig gewesen war, ließ geräuschvoll das Gebetbuch zu Boden fallen, doch das gezischelte Geschimpfe der Mutter war weitaus störender. Casimiro drehte sich um und wollte der Frau mit einem seiner gefürchteten scharfen Blicke bedeuten, endlich Ruhe zu geben. Doch als er die Frau dann genauer ansah, ihre ärmliche, aber ordentliche Kleidung wahrnahm sowie ihre vor Scham geröteten Wangen, wurden seine Züge weicher. Er ließ sich sogar dazu hinreißen, ihr zuzulächeln und die Schultern in einer Geste zu heben, die zu sagen schien: Ja, ja, Kinder …
Casimiro da Cunha schweifte in Gedanken ab, zu jenem hoffentlich nicht allzu fernen Tag, da er selber seinen Stammhalter in den Händen würde halten dürfen. Ein prächtiger Bursche wäre das bestimmt, schön dick und gesund und mit einer durchdringenden Stimme, die seine spätere Autorität bereits erkennen ließ. Eine Schwester würde er später auch noch bekommen. Ja, ein Töchterchen wäre entzückend, dachte Senhor da Cunha, ein rosiges, pummeliges Ding, das vielleicht nicht so sehr nach der Mutter, sondern vielmehr nach einer ihrer Schwestern geraten würde. Er würde das Mädchen verwöhnen – aber nicht so sehr, dass es ihm nachher mit fortschrittlichen Ideen ankam. Es würde zu einer gottesfürchtigen, braven, bescheidenen jungen Frau heranreifen, die wusste, wo ihr Platz im Leben war. Und dann würde er selber, in vielleicht fünfundzwanzig Jahren, in der ersten Reihe einer herrlich geschmückten Kirche sitzen, seine Tochter einem rechtschaffenen jungen Mann anvertrauen und ein Taschentuch zücken, so wie es sein Freund José Carvalho jetzt tat. Selbst aus der hintersten Reihe hätte man diese Handbewegung des Brautvaters nicht anders deuten können. Fast hätte Senhor da Cunha selber feuchte Augen bekommen – Hochzeiten waren doch wirklich immer sehr rührend.
Dabei war der entscheidende Moment – das Jawort der beiden Brautleute sowie die Segnung des Pfarrers – noch gar nicht gekommen, bemerkte er jetzt. Casimiro hatte ob seiner Träumerei die Zeremonie nicht sehr aufmerksam mitverfolgt. Doch nun horchte er plötzlich auf. Gerade hatte der Padre die Braut gefragt, ob sie den Mann, der mit ihr vor dem Altar stand, heiraten wolle. Sie zögerte
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