So weit der Wind uns trägt
Deolindas Geseufze sei der Gipfel weiblicher Ekstase, so wurde er jetzt eines Besseren belehrt: Julianas Augen waren verdrehter als seine eigenen, und durch ihren Körper ging plötzlich ein Ruck, als hätte sie einen elektrischen Schlag bekommen. Sie bäumte sich auf, ihre Beine zuckten, und am Zittern von Fernandos Körper war klar zu erkennen, dass sie gemeinsam einen Punkt erreicht hatten, an den er, João, seine Deolinda nie hatte führen können.
Erschöpft und glücklich sahen Juliana und Fernando einander an.
João unterdrückte ein Stöhnen, schloss seine Hose und verließ hastig und gedemütigt seinen Unterschlupf.
Das alles geschah am Aschermittwoch des Jahres 1916 , und hätten Jujú oder Fernando auch nur einen Bruchteil des Aberglaubens von Gertrudes Abrantes besessen, wäre es vielleicht gar nicht erst so weit gekommen.
Am darauf folgenden Tag, dem 9 . März 1916 , erklärte Deutschland Portugal den Krieg.
In der darauf folgenden Woche lief Deolinda noch immer mit einem gelblich-violetten Fleck unter dem linken Auge durchs Dorf und beteuerte jedem, dass der Sturz von der Treppe in der Tat sehr unglücklich gewesen sei.
Vier Wochen später begriff Jujú, dass sie nicht unter einem unregelmäßigen Zyklus litt. Sie war schwanger.
12
S enhor da Cunha hatte nie ein schöneres Hochzeitspaar gesehen. Die Braut war betörend in ihrem weißen, seidenen Kleid und mit dem zarten Schleier, der gerade so viel von ihren rosigen Wangen und ihrem hübsch gerundeten Dekolleté durchscheinen ließ, dass es das Anstandsgefühl des Pfarrers nicht verletzte. Auch der Bräutigam bot einen wunderbaren Anblick, wie er kerzengerade und mit ernstem Gesichtsausdruck den Worten des Padres lauschte. Er war ein Bild von einem Mann, und Senhor da Cunha erwischte sich bei dem Gedanken, dass er selber in jüngeren Jahren viel gegeben hätte, um so auszusehen. Er verdrängte den neidischen Anflug so schnell, wie er gekommen war, und lenkte seine Aufmerksamkeit auf seine Umgebung.
Die Dorfkirche war über und über mit weißen Blumen und Zweigen geschmückt, mit Rosen, Lilien, Magnolien, Oleander und Jasminblüten. Das Aroma war betäubend, und es ließ Senhor da Cunha vorübergehend vergessen, dass er gar nicht gefrühstückt hatte. Er wollte sich ja nicht den Appetit verderben – bei den Carvalhos wurde man bekanntlich mit den herrlichsten Delikatessen bewirtet. Auch das war einer der Gründe, warum er immer wieder gerne in den Alentejo reiste. Dass er nach der Verlobungsfeier im März nun bereits im Juni wiederkäme, hätte er sich allerdings nicht träumen lassen.
José Carvalho, sein alter Freund aus dem monarchistisch geprägten Club in Lissabon und Vater der Braut, hatte sich ganz offensichtlich nicht sehr wohl in seiner Haut gefühlt, als er ihn, Casimiro da Cunha, zu der Hochzeit eingeladen hatte.
Die jungen Leute von heute … haben es mit allem viel zu eilig
. Nun ja, dachte Senhor da Cunha, ein Kind ist doch wahrlich nicht der schlechteste Grund für eine Eheschließung. Denn anders, als dass die Braut in anderen Umständen war, konnte Senhor da Cunha sich diese überstürzte Hochzeit nicht erklären. Obwohl er es niemals öffentlich zugegeben hätte, fand er es im Gegensatz zu vielen anderen Menschen nicht weiter schlimm, wenn ein Mädchen sich durch eine Schwangerschaft gezwungen sah zu heiraten. Innerhalb kurzer Zeit würden die Mutterfreuden im Vordergrund stehen, die Stimmen der Lästerer würden verstummen, es würden weitere Kinder kommen, und alles nähme den üblichen Lauf. In ein paar Jahren – wenn es denn überhaupt so lange dauerte – wäre der ramponierte Ruf des Mädchens längst dem unantastbaren Ansehen einer Matrone gewichen.
Viel schlimmer war es doch, wenn eine Frau gar keine Kinder bekam, so wie es bei seiner geliebten Gemahlin der Fall gewesen war. Wie hatte sie sich gequält, die Ärmste, und wie tragisch war es gewesen, als sie, unversöhnt mit ihrem Schicksal, noch in der Stunde ihres Todes beklagt hatte, keine Nachkommen zu hinterlassen. Sie war voller Wut vor ihren Schöpfer getreten. Bei der Erinnerung an die letzten Minuten im Leben der Aldora da Cunha bekreuzigte sich ihr Witwer.
Der Herr, der auf der unbequemen Holzbank neben ihm saß, bedachte ihn mit einem befremdeten Blick. Senhor da Cunha räusperte sich und bemühte sich, den Worten des Padre zu folgen. Vergeblich – immer wieder drängte sich ihm eine Idee auf, die ihm gerade durch den Kopf geschossen war. Er
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