So weit der Wind uns trägt
hatten. Diesen scharfen Ton waren sie von ihrer Mutter nicht gewöhnt. Er machte ihnen ein bisschen Angst, und es erschien ihnen angebracht, der Aufforderung Folge zu leisten. Laura, mit ihrem Kussmündchen, den schrägen braunen Augen und den Wangengrübchen ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten, setzte sich beleidigt auf ihren Stuhl, stemmte die Arme auf die Tischplatte und begann, mit dem Zuckerstreuer herumzuspielen. Paulo, der seiner sechsjährigen Schwester möglichst alles nachmachte, ließ sich von seiner Mutter auf einen Stuhl hieven und verzog das pausbäckige Gesicht. Er sah aus, als würde er jeden Moment anfangen zu weinen. Seine Ärmchen waren noch zu kurz, als dass er ebenfalls mit dem faszinierenden Zuckerstreuer hätte spielen können, und so war er dazu verdammt, die herumkullernden Zuckerkristalle nur zu beobachten.
»Herrje, Laura! Hör auf damit! Du willst doch immer eine kleine Dame sein, oder? Damen tun solche Sachen nicht.«
»Was tun sie denn?«
Gute Frage. Sie heiraten die falschen Männer, sie führen ein inhaltloses Dasein, und sie geben viel Geld für Dinge aus, die sie auch nicht glücklicher machen? In ihrer Unzufriedenheit mit sich selbst schikanieren sie das Personal, lästern über andere Menschen und bekommen immer öfter Migräneanfälle? Sollte sie das ihrer kleinen Laura sagen? Feine Damen tun ständig nur das, was von ihnen erwartet wird, und nie das, was sie im Grunde ihres Herzens wollen, etwa mit Zuckerstreuern spielen?
»Eine echte Dame sitzt gerade auf dem Stuhl, nimmt kleine Schlückchen von ihrem Getränk und unterhält sich mit den anderen Leuten am Tisch über Dinge, die weder etwas mit toten Tieren noch mit den Vorgängen des menschlichen Körpers zu tun haben.«
»Soll das bedeuten, dass ich nicht mehr sagen darf, wenn Paulo in die Hose gemacht hat?« Sie kicherte schuldbewusst. Laura wusste genau, dass über so etwas nicht gesprochen werden durfte.
»Sehr richtig.« Jujús Stimme nahm einen drohenden Ton an.
»Wenn er aber doch die ganze Zeit …«
»Wenn du es noch einmal sagst, fahren wir sofort nach Hause, und ich lasse dich eine Woche lang fünf Stunden täglich mit Dona Violante Klavier üben.«
»Trotzdem macht er es immer!« Laura nahm die Kuchengabel zur Hand und stocherte trotzig in ihrem
pastel
herum. Paulo, der das Gespräch verfolgt und begriffen hatte, dass seine große Schwester schlecht über ihn sprach, fing an zu heulen und bekam einen Schluckauf.
Jujú zog ihn zu sich auf den Schoß. »Nimm es nicht so ernst, Paulinho. Als Laura zwei Jahre alt war, war sie auch nicht besser.« Der Junge beruhigte sich wieder. Jujú setzte ihn erneut auf dem Nebenstuhl ab und beschloss, nie wieder allein mit den Kindern zu verreisen. Diese unmögliche Art von Konversation sollte dem Kindermädchen vorbehalten bleiben.
Aber das hatte sie auf diese Reise nicht mitnehmen können. Es war besser, so wenig Leute wie möglich zu Mitwissern ihres Plans zu machen. Auch wenn es höchst unwahrscheinlich war, dass das Mädchen irgendetwas von ihrem Vorhaben mitbekam, geschweige denn, es gegen sie zu verwenden, war es Jujú klüger erschienen, Aninha in Pinhão zu lassen. »Aber nein«, hatte sie dem verwunderten Rui und der enttäuscht wirkenden Aninha erklärt, »in Lissabon wohnen wir bei Isabel und ihrer Familie, und es wird auch ohne mitreisendes Personal schon eng werden. Zudem hat Isabel für ihren kleinen Jungen eine
ama
, die sehr wohl auch noch unsere beiden mit beaufsichtigen kann, sollte ich einmal alleine bummeln gehen wollen.« Und das hatte sie nun davon: Die halbe Zeit musste sie sich selber um ihre Kinder kümmern, weil die beiden sich mit Isabels Sohn so schlecht verstanden, dass es für alle Beteiligten eine einzige Quälerei war. Vielleicht hätte Isabel bei ihrem ursprünglichen Plan, niemals Kinder zu bekommen, bleiben sollen – sie war als Mutter eine glatte Versagerin. Ihr Junge war vier Jahre alt und damit für Laura als Spielgefährte indiskutabel. Zugleich war er ein schrecklicher Rabauke und damit für Jujús eigenen kleinen Sohn eine ernst zu nehmende Gefahr. Beim letzten Mal hatte er ihrem Paulinho ein schweres Buch auf den Kopf geschlagen. Einzig dem beherzten Eingreifen Lauras war es zu verdanken, dass der Kleine keine Gehirnerschütterung, sondern nur eine dicke Beule davontrug. Immerhin hielten ihre beiden Kinder vor dem »Feind« zusammen, ein tröstlicher Gedanke.
Jujú umfasste ihr Glas
galão
mit beiden Händen und hielt
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