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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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vergessen, und nur der Umsicht seines Sekretärs war es zu verdanken, dass er in letzter Sekunde doch noch im »Martinho« erschienen war. Während des Essens waren seine Gedanken immer wieder zu Jujú abgeschweift, was in diesem Fall nicht weiter tragisch war. Der Minister war ein Trottel, und selbst mit einem Bruchteil seines Konzentrationsvermögens war Fernando ihm haushoch überlegen. Der Minister schwafelte dummes Zeug, sonnte sich in seiner Bekanntheit, genoss das exzellente Mahl und gab Fernando reichlich Gelegenheit, sich seinen Tagträumen hinzugeben.
    Wie schön sie ausgesehen hatte! Ganz anders als die wild gelockte Jujú mit den roten Bäckchen, die er einmal geliebt hatte, viel ätherischer, erwachsener, aristokratischer, auch verruchter. Und doch war immer wieder die alte Jujú hinter der hocheleganten Fassade zum Vorschein gekommen. Ihre Grübchen, als sie lächelte. Die kleine Lücke zwischen ihren Schneidezähnen. Der schlanke, weiße Hals. Das Muttermal auf ihrer Schläfe. Sie mochte zwar aussehen wie eines dieser fragilen Geschöpfe, die ihn von den Titelseiten der Modejournale anlachten – mit allzu schlanker Silhouette, Pagenkopf und Kleidern, die gerade bis zur Wade reichten –, aber ihr trotziger Gesichtsausdruck strafte diese mondäne Erscheinung Lügen. Sie war nach wie vor ein Dickschädel aus dem Alentejo. Es brachte ihn um den Verstand.
    »Du wirkst ein wenig abwesend, mein Lieber. Bedrückt dich etwas?« Elisabete legte ihre feingliedrige Hand auf Fernandos Unterarm – das Maximum an körperlicher Nähe, das sie sich gegenüber ihrem Mann in der Öffentlichkeit erlaubte. Sie musste Fernando dringend die Unsitte abgewöhnen, immerzu den Arm um sie zu legen.
    »Aber nein, Schatz. Alles in bester Ordnung.« Dann beugte er sich zu ihr herab und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich finde nur diese Veranstaltung ziemlich öde. Lass uns bald gehen, ja?«
    Elisabete errötete bei dem Gedanken an das, was sie zu Hause erwartete. Sie hatte es ganz gewiss nicht so eilig damit wie Fernando.
    »Nun, dem General Machado und seiner Gattin müssen wir aber vorher noch guten Abend sagen. Und mit den Pereiras haben wir auch noch keine Silbe gewechselt.«
    »Wie du meinst.« Es war vielleicht gar nicht schlecht, dachte Fernando, wenn er von seinen verwirrenden Gefühlen abgelenkt wurde. Wenn er sich wieder auf das besann, was ihn in den vergangenen Jahren umgetrieben und am Leben gehalten hatte: seinen beruflichen und sozialen Aufstieg. Machado und Pereira konnten ihm noch nützlich sein, und dafür würde er auch belangloses Geplänkel mit deren Ehefrauen in Kauf nehmen.
    Es war höchste Zeit, seinen Fehler von heute Morgen wiedergutzumachen. Er hätte niemals aus der Tram steigen dürfen.

15
    D er Frühling des Jahres 1924 war einer der herrlichsten, die man im Alentejo je erlebt hatte. Die Landschaft, sonst von den trockenen, heißen Sommern gezeichnet, verwandelte sich nach den Regenfällen im Winter und unter der warmen Märzsonne alljährlich in ein Idyll, das in Europa seinesgleichen suchte. Hätte es einen Reiseführer eigens für die Region gegeben, so hätte der sich in den höchsten Tönen über die
Pracht der Wildblumen, die ganze Berge überziehen
, geäußert oder über
das üppige Grün, das sich bis zum Horizont erstreckt
. Vielleicht hätte er
die friedlich grasenden schwarzen Schweine
erwähnt, das
milde Klima
oder auch die
gastfreundliche Bevölkerung
. Doch der Baedeker für Spanien und Portugal – allein die Kombination mit dem verhassten Nachbarn war eine Zumutung für jeden Patrioten! – handelte den Alentejo nur sehr lapidar ab. Reisende zog es fast nie hierher, und wenn, dann waren es Portugiesen, die Angehörige besuchten oder die auf der Suche nach Arbeit waren. Ausländische Besucher waren so selten, dass die Gastfreundschaft der Alentejanos kaum je auf die Probe gestellt wurde. Und kamen doch einmal Leute in die Gegend, die fremdländisch wirkten, wurden sie mit großem Misstrauen beäugt.
    Als Jujú ihren Eisenbahnwaggon der ersten Klasse verließ, half ihr ein tölpelhafter Bahnangestellter so ungeschickt beim Ausstieg über das steile Treppchen, dass sie beinahe hingefallen wäre. Sie hatte bereits zu einer Schimpftirade angesetzt, als ein Blick in das breite Bauerngesicht sie zum Schweigen brachte. Der arme Junge, dachte sie, er ist ja starr vor Angst, dass er es mit einer leibhaftigen Ausländerin zu tun haben könnte. Sie lächelte ihm aufmunternd zu und gab ihm mit

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