So weit der Wind uns trägt
sagen.
»Zufällig«, und dabei schlich sich ein trotziger Ausdruck auf Jujús Gesicht, »wollte ich dich wiedersehen.«
Endlich lächelte Fernando. Es war ein trauriges Lächeln, das von einem Blitzen aus seinen Augen begleitet wurde, das so gar nicht dazu passte.
Diese Augen. Es musste an diesen stechenden Augen liegen, dachte Major Miguel António Alves Ferreira, dass sein einstiger Schützling es in kürzester Zeit so weit gebracht hatte. Sie wirkten klug und unnachgiebig, und sie gaben jedem, der einem Blick aus ihnen ausgesetzt war, das Gefühl, bei irgendeinem Vergehen ertappt worden zu sein. Dabei wusste der Major am besten, dass Abrantes seine Mitmenschen gar nicht bewusst vorwurfsvoll oder scharf ansah. Er konnte nicht anders. Sein Blick war von Natur aus so, hypnotisch und kalt zugleich. Auch blinzelte Abrantes auffallend wenig. Mit zunehmendem Alter und wachsendem Selbstbewusstsein hatte sich diese Eigenschaft noch stärker herausgebildet, so dass schließlich sogar er, Abrantes’ ehemaliger Vorgesetzter und Mentor, sich unter dessen Blick unwohl fühlte.
Man erkannte an diesen Augen, dass sie die Schrecken des Krieges gesehen hatten. Das lag nicht an den Fältchen in den Augenwinkeln und ebenso wenig an den tiefen Ringen, die der Major eher auf Abrantes’ – frei gewähltes und ihm selber unerklärliches – Übermaß an Arbeit zurückführte. Es war etwas an ihrem Ausdruck, das sich schwer beschreiben ließ. Lebenserfahrung wahrscheinlich. Sicher hatten Desillusion und das Wissen um die eigene Vergänglichkeit das jugendliche Gefühl von Unsterblichkeit abgelöst, viel zu früh übrigens. Abrantes was jetzt wie alt? 32 Jahre? Er benahm sich wie ein Fünfzigjähriger.
Es war nicht gut, was der Krieg aus den jungen Männern machte. Der Major selber hatte fast ein Dutzend Männer verloren, insgesamt waren 10 000 portugiesische Soldaten in Flandern sowie in den Kolonien gefallen und mindestens weitere 25 000 schwer verwundet worden. Eine Schande, wenn man ihn fragte. Aber ihn fragte ja kaum jemand, und demnächst würde es erst recht niemand mehr tun: In zwei Jahren würde er pensioniert werden. Ah, wie sehr er sich danach sehnte, endlich jeden Tag ausschlafen zu können, nie wieder die unbequemen Stiefel der Uniform tragen und bürokratische Berichte schreiben zu müssen. Vielleicht, dachte der Major mit einer Spur von Neid, hatte es mit Abrantes ja doch den Richtigen getroffen. Der kannte solche Sehnsüchte ganz bestimmt nicht.
Major Miguel António Alves Ferreira nahm zwei Gläser Wein vom Tablett des vorbeieilenden Kellners, reichte eines davon seiner Gattin und nahm einen tiefen Schluck. Er gab sich gar nicht erst Mühe, seiner Frau Interesse an gepflegter Konversation vorzuheucheln. Außerdem wusste er, dass auch sie Abrantes überaus faszinierend fand. So beobachteten die Eheleute Alves Ferreira, in schönster Eintracht ihren Wein schlürfend, den jüngsten General in der Geschichte Portugals: Fernando Abrantes, der den Arm um die Taille seiner frisch angetrauten Frau gelegt hatte und im Gespräch mit einem hochdekorierten Fliegerkollegen war.
Der Kerl hatte wirklich mehr Glück als Verstand, und von Letzterem besaß er schon sehr viel mehr als andere Menschen, dachte der Major. Eine so propere, süße Frau hätte er selber auch nicht verschmäht. Ob Abrantes in der Lage war, seiner entzückenden Elisabete das zu geben, was sich Frauen von ihren Männern erhoffen? Bestimmt nicht – ein so harter Knochen wie Abrantes war den schönen Seiten des Lebens gegenüber nicht gerade aufgeschlossen.
Was für ein Glück dieses Mädchen mit dem grauslichen Vornamen doch hatte, dachte die Frau des Majors. Einen Mann wie Fernando Abrantes, dessen Werdegang noch blendender war als sein Aussehen, fand man in Portugal kein zweites Mal.
Ein unglückseliger Tag, ging es dagegen Fernando durch den Kopf. Die Begegnung mit Jujú hatte ihn völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Zum ersten Mal in seinem Leben war er zu spät zum Dienst erschienen, und das allein hätte seiner Umwelt gezeigt, dass etwas Schwerwiegendes passiert war. Da er ohnehin immer vor allen anderen da war, hatte es niemand bemerkt, doch Fernando selber beunruhigte diese unvorhergesehene Störung seines Tagesablaufs. Routine war ihm kostbar. Sie hatte ihm geholfen, sich zu fangen, den Schmerz zu verdrängen, sein gebrochenes Herz zu ignorieren.
Am Mittag hätte er dann beinahe seine Verabredung mit dem Verteidigungsminister
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