So weit der Wind uns trägt
dachte Jujú.
»Hast du Zeit«, fragte sie, »auf eine
bica
mit mir in diese Pastelaria dort drüben zu kommen? Es ist nicht besonders gemütlich hier draußen im Regen.«
Er zog eine Taschenuhr aus der Westentasche, sah darauf und zuckte mit den Schultern. »Ein paar Minuten habe ich noch.«
Das Lokal war in erster Linie ein Stehcafé, doch drei einfache Tischchen standen an der Wand gegenüber der Vitrine. Sie nahmen Platz, erhielten kaum eine Minute später ihren Espresso und sagten kein Wort. Jujú gab so viel Zucker in ihren Kaffee, dass die Tasse randvoll war und sie lange umrühren musste, bis er sich aufgelöst hatte – als könne mechanisches Rühren ihre Verlegenheit mildern.
»Was machst du hier in der Gegend?«, fragte Fernando in neutralem Ton.
»Ich war auf dem Weg zu einer Bekannten in Lapa.«
»Aber?«
»Aber was?«
»Nun ja, du scheinst dich dann doch anders entschieden zu haben – du wolltest gerade ein Taxi in die entgegengesetzte Richtung nehmen.«
Jujús Knie wurden weich. Nur gut, dass sie saß. Wie hatte sie sich so schnell verraten können? Sie nippte an ihrer
bica
, die so süß war, dass ihr beinahe übel davon wurde. Dann kramte sie in ihrer Tasche nach den Zigaretten. Sie nahm eine, befestigte die edle Zigarettenspitze daran und ließ sich von Fernando Feuer geben.
»Ja, mir war eingefallen, dass ich etwa Wichtiges zu Hause vergessen hatte.«
»Zu Hause? Lebst du jetzt in Lissabon?«
»Nein, nein, mit ›zu Hause‹ meinte ich meinen derzeitigen Wohnort in Lissabon. Ich bin nur zu Besuch hier, bei Isabel, in der Baixa. Und du? Wohnst du hier in der Nähe?«
»Ja. Drei Blocks von hier entfernt. Mein Schwiegervater hat in der Rua das Janelas Verdes ein großes Haus, meine Frau und ich bewohnen dort eine eigene Etage.«
»Ach, du bist verheiratet?«
»Hast du etwas anderes erwartet?«
»Nein. Das heißt, ich habe gar nichts erwartet. Am allerwenigsten, dich hier und heute wiederzusehen. Was für ein verrückter Zufall, nicht wahr?« Das war gar nicht mal schlecht, dachte Jujú. Vielleicht hatte sie mehr schauspielerisches Talent, als sie sich zugestehen mochte. Oder war sie einfach nur durch und durch verlogen?
»Ja.«
Diesmal ließ Jujú sich von diesem irritierenden Ja nicht aus der Fassung bringen. Sie lächelte Fernando zu.
»Es ist schön, dich wiederzusehen.«
Er antwortete nicht, und er lächelte auch nicht zurück.
»Wie ist es dir ergangen?«, fuhr Jujú fort, eine Spur zu schnell vielleicht. Sie konnte sein Schweigen nicht ertragen. »Hast du Kinder? Bist du noch Pilot?«
»Ich habe gerade erst geheiratet, wir haben noch keine Kinder. Und ja, ich fliege noch.«
Zum Teufel auch, musste sie ihm denn jede Information einzeln entlocken? Noch dazu Dinge, die sie ohnehin schon wusste? Sosehr er sich äußerlich verändert haben mochte und so großstädtisch er sich jetzt gab – die spröde Art hatte er beibehalten.
»Du siehst gut aus. Es war wohl richtig, eine Karriere beim Militär einzuschlagen.«
»Das war es wohl, ja.« Er zückte erneut seine Taschenuhr und runzelte die Brauen. »Ich muss jetzt gehen. Schön, dich wiedergesehen zu haben.«
Aber – er hatte ihr nicht eine einzige Frage gestellt! Das konnte doch nicht sein, dass sie ihm so gleichgültig war. Das durfte nicht sein!
Fernando erhob sich, zahlte die beiden Kaffees am Tresen und half ihr dann, ihren Stuhl abzurücken.
»Sehen wir uns wieder?«, fragte sie ihn und hoffte, er möge die Verzweiflung in ihrer Stimme nicht wahrnehmen.
»Das wäre, glaube ich, nicht so klug.«
»Warum? Ich würde mich sehr freuen, deine Frau kennenzulernen. Und bei Isabel wärest du auch jederzeit willkommen. Da sehen wir uns nun nach so langer Zeit wieder – sicher haben wir uns allerhand zu erzählen, meinst du nicht? Wir können es doch jetzt nicht einfach bei diesem kurzen Treffen belassen. Weißt du, ich …« Ein Blick in Fernandos Augen ließ sie innehalten. Sie schämte sich plötzlich für ihren Redeschwall. Sie konnte sich ihm unmöglich noch deutlicher aufdrängen.
»Ruf mich an, wenn du es dir anders überlegt hast. Adeus.« Sie schnappte sich ihre Tasche und stolzierte aus dem Lokal.
Auf dem Bürgersteig holte er sie ein. Fernando griff nach ihrer Hand und zwang Jujú, stehen zu bleiben.
»Bist du wirklich zufällig hier in der Gegend gewesen?«
»Ja.«
Er sah sie zweifelnd an und schüttelte langsam den Kopf, als sei er zu enttäuscht über ihre Lüge, um auch nur ein Wort dazu zu
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