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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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unersättlichen Wasserstoffblondine namens Deolinda, hatte er wenig dagegen unternehmen können. Danach war Octávio allerdings nie wieder aufmüpfig geworden. Mariana und die Kinder tanzten ihm auf der Nase herum, dass es ein Elend war, und der arme Junge schien auch noch Gefallen daran zu finden. Er unternahm keinerlei Versuch, seine Autorität innerhalb der Familie zu festigen, und so blieb es an ihm allein, José Carvalho, männliche Dominanz unter Beweis zu stellen. Er war ja praktisch der einzige Mann im Haus, denn seinen Schwiegersohn konnte man wohl kaum als solchen bezeichnen. Ein verweichlichtes Bürschchen, das unter Marianas Fuchtel stand, jawohl, das war Octávio. In den wenigen Momenten seines Lebens, in denen er ganz und gar ehrlich zu sich selber war, musste José sich zwar eingestehen, dass es ihm mehr Freude gemacht hätte, den lieben Opa zu geben, aber irgendwoher mussten die Mädchen ja lernen, wer die Hosen anhatte. Wie hätte er ahnen können, dass den Kindern viel mehr vor Beatriz als vor ihm graute?
     
    Beatriz sah mit ihren nunmehr 36  Jahren schlimmer aus, als sie alle es immer befürchtet hatten. Der tödliche Schlaganfall ihres Verlobten Casimiro, drei Tage vor der Hochzeit, hatte ihr den Rest gegeben. Sie war hager und hatte tiefe Falten von der Nase bis zu den herabhängenden Mundwinkeln. In ihr Haar hatten sich erste graue Strähnen geschlichen. Obwohl inzwischen kürzere Röcke in Mode waren und obwohl Beatriz sehr hübsche Beine hatte, die sich hätten sehen lassen können, trug sie immer altmodische knöchellange Kleider. Sie war der Inbegriff der alten Jungfer, und sie unternahm alles, um diesen Eindruck noch zu verstärken. Ihre Haltung war stocksteif, ihr Blick streng, ihre Rede knapp und sachlich. Auch mit ihren Nichten sprach sie, wenn es sich denn gar nicht umgehen ließ, wie mit fremden Erwachsenen. Keine Verniedlichungen, keine Zärtlichkeiten, keine Kosenamen kamen ihr jemals über die Lippen. Einzig mit Drohungen und Schauermärchen sparte sie nicht.
    »Auf dem Dachboden lebt der Geist einer alten Hexe«, erzählte sie ihnen, »und wenn man ihr zu nahe kommt, frisst sie einen auf.« Die Kinder glaubten ihr aufs Wort. Und nicht nur die. Auch die Dienstboten – es waren derer nur mehr drei im Haus, nämlich das Dienstmädchen Anunciação, die Köchin Maria do Céu sowie die Haushälterin Maria da Conceição – waren inzwischen davon überzeugt, dass es auf dem Dachboden spukte. Es kamen manchmal merkwürdige Geräusche von dort oben, und Anunciação, die vor Jahren einmal wagemutig hinaufgegangen war, hatte zitternd zu berichten gewusst, dass sie einen Totenschädel gesehen hatte. Wenn ein Möbelstück ausrangiert und dorthin verfrachtet werden sollte, mussten immer José und der Gärtner oder ein Stallbursche auf den Boden, und die Kinder schrien vor entsetztem Vergnügen.
    Die Idee mit dem Schädel war nicht schlecht gewesen, fand Beatriz. Es war der eines Menschenaffen, den sie in einer Kuriositätenhandlung in Beja gefunden hatte. Wie dumm die Leute alle waren, und wie abergläubisch! Der Geist einer Hexe, ha! Die einzige Hexe, die dort oben ihr Unwesen trieb, war sie selbst, wenn sie sich klammheimlich hinaufschlich, um einen Blick auf die Briefe zu werfen – Briefe, wie sie selber sie gerne bekommen hätte und wie sie nicht einmal Casimiro in seinem sentimentalen Überschwang ihr geschrieben hatte. Natürlich wusste Beatriz, dass sie Fernandos Post an Jujú besser vernichtet hätte. Aber das Wissen darum, dass sie noch immer etwas in der Hand hielt, was ihr einmal Macht über ihre jüngste Schwester gegeben hatte, verschaffte ihr eine tiefe Befriedigung.
    Jetzt war der Knabe General, unfassbar! Schöner General, der in jungen Jahren Peinlichkeiten abgesondert hatte wie:
Du entfachst ein Feuer in mir, das nie erlöschen wird
 – Grundgütiger! Und dessen Herzenswärme sich heute in Ungeheuerlichkeiten äußerte wie der, dass er seine einzige Schwester im Haushalt fremder Leute arbeiten ließ. Hatte sie, Beatriz Carvalho, nicht immer schon gewusst, was für ein Scheusal der Mann war?
     
    Maria da Conceição war es sehr unangenehm, dass Beatriz ihr ständig irgendwo auflauerte und sie nach Fernando ausquetschte. »Warum hat dich denn dein Bruder nicht zu sich geholt, nach Lissabon?«, hatte sie schon des Öfteren gefragt, oder auch: »Verleugnet er etwa seine Herkunft, dein feiner Bruder?« Wahrscheinlich war Beatriz auch nur eine von den vielen, die vor

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