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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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oder die schrägen, auf einer Blockflöte erzeugten Töne. Aber gut, man konnte nicht alles haben. Ihr eigener Papá war dafür viel hübscher. So einen wie ihn wollte sie einmal heiraten. Das hieß, wenn sie nicht Joãozinho heiratete, den Jungen von der nächstgelegenen Quinta, den sie heute erst beim Ponyreiten kennengelernt und der ihr unter den Rock geschaut hatte. Sie fühlte sich dank dieses Geheimnisses sehr wichtig. Und sie fand, dass sie ihren Cousinen weitaus überlegen war: Die hatten ihr ihre größten Geheimnisse ja schon in den ersten fünf Minuten preisgegeben.
     
    Mariana, unfreiwillig zur Zeugin des konspirativen Treffens der Kinder geworden, musste an sich halten, um nicht lauthals loszuprusten. Ihre Älteste hatte in verschwörerischem Ton berichtet, wo sie ihre Schätze – ein paar ihrer Milchzähne, einige Muscheln von ihrer letzten Reise in die Algarve sowie eine Fasanenfeder – sicher vor den Eltern verwahrt hatte. Mariana kannte das Versteck: Schon sie selber hatte dort als Kind ähnliche Kostbarkeiten gehortet. Ihre Jüngste hatte verraten, dass sie das Fressen des Hundes probiert hätte, und zwar direkt aus dem Napf. Die anderen Kinder hatten vor Ekel gejubelt, während Mariana sich kopfschüttelnd vornahm, den Napf irgendwo hinzustellen, wo das Kind nicht mehr herankam. Paulinho hatte nur unsinniges Zeug gebrabbelt – er schien den Sinn der Zusammenkunft noch nicht ganz begriffen zu haben, aber er war ja auch der Kleinste. Als die Reihe an ihre Nichte Laura kam, horchte Mariana wider Willen auf. Das Mädchen erinnerte sie so sehr an Jujú, dass ihr das, was sie zu sagen hatte, bedeutsamer erschien als die Geheimnisse der anderen.
    »Ich habe keine Geheimnisse«, sagte Laura, »und wenn ich welche hätte, würde ich sie euch bestimmt nicht verraten. Sonst wären sie ja keine mehr.« Meine Güte, dachte Mariana. So klein und schon so schlau. Die anderen Kinder bedrängten Laura jetzt. »Sag schon, sag schon!« Anscheinend hatte Lauras Miene das Gegenteil dessen ausgedrückt, was sie ausgesprochen hatte.
    »Aber nur, wenn ihr mir schwört, es niemandem weiterzuerzählen.«
    Alle schworen feierlich.
    »Also – ich habe wirklich kein Geheimnis. Aber meine Mamã hat eins.« Plötzlich wurde ihre Stimme leiser, sie schien die vertrauliche Information nur flüsternd weitergeben zu wollen. Mariana lauschte angestrengt, hatte aber Mühe, alles zu verstehen. Das Einzige, was sie hörte, klang in etwa wie »… ein Mann ihre Hand gehalten«.
    Mariana war das Lachen vergangen. Und die Vorfreude auf den Abend, an dem sie ihr eigenes wohlgehütetes Geheimnis bekanntgeben wollte, war ihr ebenfalls vergällt worden. Vielleicht sollte sie doch lieber die Abreise des Besuchs abwarten, bevor sie ihrer Familie von ihrer dritten Schwangerschaft erzählte.

16
    J e mehr Jujú ein Treffen herbeigesehnt hatte, so schien es ihr, desto weniger Befriedigung gab es ihr. Jedes Mal nahm sie sich vor, die Sprache auf diejenigen Dinge zu bringen, die sie wirklich beschäftigten – und jedes Mal redeten sie ausschließlich über Alltägliches, das Wetter, den Gesundheitszustand ihrer Angehörigen oder auch über die Kinofilme mit Charlie Chaplin. Nie, nicht ein einziges Mal in den anderthalb Jahren, in denen sie sich vielleicht ein halbes Dutzend Mal gesehen hatten, war es ihnen gelungen, diese Distanz zu überbrücken. Es war zum Verzweifeln. Jujú wünschte sich so sehr, dieselbe Vertrautheit zu Fernando wiederherstellen zu können, die früher ihre Freundschaft gekennzeichnet hatte, doch mit jedem Besuch in Lissabon schien er sich weiter von ihr zu entfernen.
    Es brachte doch nichts, sich immerzu vor Hoffnung zu verzehren, um dann enttäuscht zurück an den Douro zu fahren und aus einer winzigen Bemerkung, einem vielsagenden Blick oder einer flüchtigen Berührung neue Hoffnung zu schöpfen – die dann so lange wuchs, bis Jujú erneut nach Lissabon aufbrach. Sie musste diesen Teufelskreis durchbrechen, sei es, indem sie aufhörte, Fernando zu sehen, sei es dadurch, dass sie ihn aus der Reserve lockte. Aber hatte sie das nicht bereits unzählige Male versucht? Auf alle Fragen privater Natur hatte er ihr ausweichende, zuweilen schroffe Antworten gegeben, und auf alle ihre Erzählungen, in denen sie subtil ihre wahren Gefühle durchscheinen ließ, hatte er mit Achselzucken reagiert. Noch direkter konnte sie das Gespräch wohl kaum in eine Richtung bringen, die ihnen mehr Nähe erlaubte. Er schien wirklich

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