So weit der Wind uns trägt
an der Seite eines Ehemannes, dem ihr Seelenheil herzlich egal war? Außer dem Aufziehen zweier Kinder, die ihr schon in wenigen Jahren den Rücken kehren und ihr eigenes Leben leben würden? Außer Fernando aus der Ferne dabei zu beobachten, wie er weiter Karriere machte, seine Familie vergrößerte und sich von ihr entfernte? Gegen ihren Willen wurden ihre Augen feucht. Nur das nicht, dachte sie, bloß nicht jetzt in Tränen ausbrechen! Fernando würde sie hassen. Er hatte immer schon Selbstmitleid als eine der schlimmsten menschlichen Schwächen betrachtet, und er würde es in ihrem Fall erst recht nicht nachvollziehen können. Wie hätte er wissen sollen, dass sie ihre damalige Entscheidung, Rui zu heiraten, aus Liebe zu Fernando getroffen hatte? Und wie hätte sie es ihm erklären sollen – es klang heute ja sogar für sie selber unglaubwürdig. Einer so verqueren Logik würde Fernando niemals folgen können.
»Tja, vor mir liegt vor allem eine lange Reise. Ich fahre heute Nachmittag wieder zurück und muss noch packen und diverse andere Dinge erledigen. Also … gehe ich jetzt besser.«
Als Jujú aufstand, im Wandspiegel den Sitz ihres Hutes überprüfte und ihre Handtasche nahm, sprang Fernando mit einem Satz auf.
»Was soll das?«
»Was soll was?«
»Setz dich wieder hin.«
Sie blieb einen Augenblick unentschlossen stehen, beugte sich aber schließlich der Autorität seines Blickes und ließ sich schlaff auf den Stuhl fallen. Sie sah ihn fragend an.
»Geh noch nicht. Bitte.« Fernando verstand nicht, was in ihn gefahren war. Wie hatte er so die Kontrolle über sich verlieren können? Wollte er sie nicht seine Gleichgültigkeit spüren lassen? Sie damit büßen lassen für all die Qualen, die er ihretwegen ausgestanden hatte? Sie niemals wissen lassen, was er noch immer für sie empfand? Und nun warf er sich wie ein geprügelter Hund vor ihr auf den Rücken und winselte um ihre Aufmerksamkeit!
»Ich möchte mich gerne noch ein wenig länger mit dir unterhalten«, versuchte er seinen Gesichtsverlust wieder auszubügeln. »Ich habe heute etwas mehr Zeit als sonst.«
Jujú konnte es kaum fassen. Erstmals hatte Fernando, wenn auch nur beiläufig, zu erkennen gegeben, dass seine alten Gefühle für sie vielleicht noch nicht vollständig erloschen waren. Doch ihr Triumph schmeckte schal. Was nützte es ihnen? Er hatte eine Frau, die er nicht betrügen würde, und eine berufliche Position, die ihm wenig Zeit und Gelegenheit gab, Jujú zu sehen. Sie selber hatte die Kinder und ihre neugierige Schwester, die bereits zotige Witze riss über Jujús häufige Besuche bei ihr.
Dein Sohn braucht die Kur und du den Schatten,
hatte sie gescherzt und ihr dann, in vertraulicherem Ton, geraten, sich einen Liebhaber zuzulegen.
»Es geht nicht.« Jujú beugte sich über den Tisch näher zu Fernando, als wolle sie ihm etwas beichten. »Es war ein Fehler von mir, dich aufzuspüren und den Kontakt zu dir zu suchen. Es ist besser, wenn wir uns nicht mehr sehen.« Sie legte eine Hand auf die Fernandos, um ihren Worten mehr Nachdruck zu verleihen, doch das Gegenteil trat ein. Die Geste verriet nicht ihre Entschlossenheit, dem Ganzen ein Ende zu setzen, sondern vielmehr ihr Bedürfnis nach mehr. Fernando drehte seine Handinnenfläche nach oben und umschloss ihre kalten Finger. Eine Flut von widersprüchlichen Gefühlen überrollte Jujú. Und Fernando ging es ähnlich.
Hand in Hand saßen sie schweigend beisammen, die Köpfe einander so nah zugewandt, als würden sie tuscheln. Auf jeden unbeteiligten Beobachter hätten sie den Eindruck eines langjährigen Liebespaares gemacht.
»Komm morgen Nachmittag in den Jardim da Estrela, gegen drei Uhr. Bitte«, sagte er leise.
Sie lächelte ihn traurig an, stand auf und ging.
Fernando hatte keine Ahnung, ob sie Ja oder Nein damit gemeint hatte, und die Tatsache, dass sie ihn erneut einfach sitzenließ, machte ihn rasend.
Am nächsten Tag betrat Fernando auf die Minute pünktlich den Park. Auf dem ganzen Weg vom Palácio de São Bento hierher war er wütend auf sich selber gewesen – auf seinen Mangel an Stolz, der ihn förmlich um ein Treffen hatte betteln lassen. Wahrscheinlich würde sie gar nicht erscheinen. Welche Frau mag sich schon zu einem Rendezvous mit einem so unterwürfigen Mann begeben? Aber er konnte einfach nicht anders. Wie ein Magnet, der einem physikalischen Gesetz gehorcht, zog es ihn zu dem Ort, an dem sie vielleicht auf ihn wartete.
Jujú war bereits da.
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