So weit der Wind uns trägt
der ›Taverna das Mónicas‹? Es ist ein Fado-Lokal, in der Alfama.« Großer Gott, ein
Fado-Lokal
. Seine eigene Scheinheiligkeit war widerwärtig. Die Taverne war viel mehr als das. Im Obergeschoss wurden auch Zimmer vermietet. Stundenweise. Er hatte nie selber eines in Anspruch genommen, aber den Gesprächen seiner Kollegen hatte er entnommen, dass es dort sauber war und die Wirtin verschwiegen. Vor allem war es der einzige Ort, an dem die Wahrscheinlichkeit, jemanden aus ihrem oder seinem familiären Umfeld zu treffen, gen null tendierte.
Jujú verneinte.
»Hast du Lust, mich morgen Abend dort zu treffen? Um zehn Uhr? Das Sträßchen heißt Travessa das Mónicas – das Lokal ist nicht zu verfehlen.«
»Ja, gut. Bis morgen dann.« Jujú stieg in das wartende Taxi ein und vermied einen letzten Augenkontakt mit Fernando. Sie wusste sehr genau, dass die Alfama nicht zu den Stadtvierteln gehörte, in denen Leute wie sie sich für gewöhnlich aufhielten.
Die Fado-Sängerin war hinreißend. Das Lokal war es nicht. Jujú fühlte sich wie ein Fremdkörper unter all den ärmlich gekleideten Leuten, Fischweibern, Handwerkern, Busfahrern, Näherinnen oder Zeitungsjungen. Der Wein war sauer, die Holzbank, auf der sie saßen, unbequem. Dennoch genoss Jujú den Abend: Das Kerzenlicht und die melancholischen Klänge des Fados, der von Wehmut und unerwiderter Liebe, vom Abschied und von fernen Welten erzählte, reflektierten ihre Gefühle, wie keine noch so großartige Soiree und kein noch so frivoles Variété es je getan hatten. »Lebwohl, Lissabon«, hieß es im Refrain, und Jujú dachte dabei unwillkürlich an ihre bevorstehende Abreise, fort von Fernando, zurück in die Einsamkeit.
Die Taverne war gut besucht, so dass Jujú dicht neben Fernando saß. Als sich ein korpulenter Mann zu ihrer Rechten niederließ und ihr unangenehm nahe kam, rückte sie noch enger an Fernando heran, der dies als Aufforderung verstand. Er legte den Arm um ihre Taille. Dort, wo ihre Oberschenkel sich berührten und wo Fernandos Hand lag, glühte Jujús Haut unter ihrem fransenbesetzten Charleston-Kleid. Sie war so nervös, dass sie Fernando jetzt nicht ansehen konnte. Stattdessen heftete sie ihren Blick auf die Sängerin und hielt dabei die Luft an.
Fernando betrachtete Jujús edles Profil. Sie wartete darauf, dass er die Initiative ergriff, das war unübersehbar. Na schön, wenn sie ihm ihre Lippen nicht zu einem Kuss darbot, dann würde er eben woanders beginnen. Er beugte sich zu ihrem Hals herab, hauchte einen Kuss darauf und bewegte sein Gesicht langsam aufwärts, um mit der Zunge die Konturen ihres Ohrs nachzumalen.
Jujú bekam vor Erregung eine Gänsehaut. Das Kratzen seiner Bartstoppeln und die Zartheit seiner Lippen waren so sinnlich, dass sie vor Lust die Augen schloss und stumm aufstöhnte.
»Lass uns gehen«, raunte er ihr nun ins Ohr. Wohin, das brauchte er nicht zu sagen. Mit jeder Faser ihres Körpers verlangte es Jujú nach Fernando, und sie wäre ihm an den scheußlichsten Ort dieser Erde gefolgt, wenn sie nur jetzt, sofort, Erlösung fand.
Doch bereits im Treppenhaus des einsturzgefährdeten Gebäudes verflüchtigte sich der Taumel, der von Jujú Besitz ergriffen hatte. Die Wirtin stieg vor ihnen die halsbrecherisch steilen Stufen hinauf und ächzte. Jujú sah die ganze Zeit auf das breite Hinterteil der Frau, das sich ihr in einem verschmutzten Rock präsentierte, dessen Saum sich gelöst hatte. In der dritten Etage blieb die Frau stehen. Sie schloss ein Zimmer auf und schaltete das Licht ein. »Handtuchbenutzung kostet fünf Escudos extra.« Damit drehte sie sich um und stieg die Treppe, mit ihrem Schlüsselbund klappernd, wieder hinunter.
Der Raum war zwar nicht halb so ungepflegt wie die Vermieterin, aber er roch muffig und wirkte alles in allem genau so, wie Jujú sich in ihren schlimmsten Alpträumen ein Zimmer in einem Stundenhotel ausgemalt hätte. Auf dem Bettvorleger waren nicht näher zu identifizierende Flecken. Der roséfarbene Lampenschirm saß schief auf der kleinen Funzel auf dem Nachttisch. Von der Waschschüssel und dem Wasserkrug war stellenweise Email abgeplatzt, darunter kamen unschöne schwarze Flecken zum Vorschein. Das Bett war mit geblümten Laken und einer verfilzten Wolldecke bezogen, und der Samtbezug auf dem Sessel, der in einer Ecke des Raums stand, war abgewetzt. Es war widerlich.
Fernando schien das schäbige Ambiente nichts auszumachen. Nachdem er die Deckenbeleuchtung aus- und
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