So weit der Wind uns trägt
die Nachttischlampe eingeschaltet hatte, zog er Jujú fest an seine Brust. Er nahm ihr den Hut vom Kopf, löste die Klammern aus ihrem Haar und fuhr mit der Hand hindurch. Er bedauerte, dass sie ihre Haare nicht mehr so lang wie früher trug, aber der Duft, der ihnen entströmte, war noch immer derselbe. Er sog ihn tief ein, schloss die Augen und fühlte sich in eine Zeit versetzt, in der er noch an die dauerhafte Erfüllung ihrer Liebe geglaubt hatte.
Er spürte ihre Lippen an seinem Hals. Langsam küsste sie sich weiter aufwärts, über seine kantigen Kieferknochen zu seinem Mund. Als ihre Lippen sich trafen, konnte Fernando seine Leidenschaft kaum noch zügeln. Er presste Jujú so eng an sich, dass ihr seine Erregung nicht verborgen bleiben konnte. Er begehrte sie, wie er nie eine andere begehren würde, und er wollte sie jetzt, hier, auf der Stelle. Er fuhr mit den Handflächen über ihre Schulterblätter und bewegte die Hände dann nach vorn. Ihr Busen fühlte sich göttlich an, rund und fest wie eh und je. Er streichelte ihn sanft, fuhr sacht über die aufgerichteten Brustwarzen, die er unter dem dünnen Stoff ihres Kleides genau ertasten konnte, umfasste ihre Brüste dann fordernder. Er spürte Jujús Atem an seinem Hals, heiß und immer stoßartiger.
Fernando hielt Jujú weiterhin umklammert, während er sie in vorsichtigen kleinen Schritten zum Bett führte.
Doch plötzlich stieß sie ihn von sich. »Ich kann das nicht.«
Fernando stöhnte vor unerfüllter Begierde auf. Herrgott noch mal, hätte sie ihre Schuldgefühle nicht vorher mit sich selbst klären können?
Jujú erkannte an Fernandos verschleiertem Blick, dass er sie falsch verstanden haben musste.
»Ich … will ja auch. Aber nicht hier.«
Ihm wäre es egal gewesen. Er hatte den Raum gar nicht richtig wahrgenommen, seine Armseligkeit zwar registriert, aber nicht als störend empfunden. Sie hatten doch einander, was scherte sie da ein hässliches Zimmer? Erst jetzt, da er versuchte, es mit Jujús Augen zu sehen, erkannte er das Niedrige, das Schmutzige und Entwürdigende des Raums. Und der Situation. Er schämte sich plötzlich. Er hatte Jujú hierher geschleppt wie ein dahergelaufenes Straßenmädchen.
Er sah ihr zu, wie sie ihren Hut wieder aufsetzte und ihr Gesicht in dem blinden Spiegel abpuderte. Dann hielt er ihr die Tür auf, als sei es die Tür eines vornehmen Salons, und folgte ihr ins Parterre.
Die Zimmerwirtin zuckte nicht mit der Wimper, als die beiden so schnell schon wieder vor ihr standen, die junge Frau mit verlegenem Gesicht, er mit ausdrucksloser Miene. Die feinen Leute aus Lapa oder aus der Baixa waren immer schon sonderbar gewesen. Und wenn sie anstandslos das Geld zahlten, für das sie das Zimmer die ganze Nacht hätten haben können, Schaumwein inklusive, dann stellte sie keine weiteren Fragen. Weder den Gästen noch sich selber.
17
E rst hatte sie die Raben gesehen. Eine ganze Schar, die vollkommen still auf einem halbtoten Baum nahe der Porta de Avis saß. Kaum drei Stunden später war ihr beim Saubermachen der Spiegel zerbrochen und in genau dreizehn große Scherben zersplittert. Dann, während des Mittagessens und bereits von ihren bösen Vorahnungen verfolgt, war Dona Gertrudes der Suppenlöffel aus der zitternden Hand gefallen. Den Rest des Tages verbrachte sie, aus Angst vor weiteren schlimmen Anzeichen, allein in ihrer Kammer.
Sie war ausnahmsweise froh darüber, dass sie sich Fernandos Wunsch widersetzt und keine eigene Wohnung bezogen hatte – dort würde sie jetzt noch viel ärgere Nöte ausstehen als in ihrem kleinen, überschaubaren Zimmerchen. Vor lauter Nervosität verzählte sie sich ständig bei dem Muster des Jäckchens, das sie für ihr Enkelkind strickte. Sie schlief in dieser Nacht schlecht, und es hätte gar nicht mehr des Hundes bedurft, den sie um Mitternacht bellen hörte, um absolute Gewissheit zu haben: Ihre Zeit auf Erden wäre bald abgelaufen.
Am 30 . Mai des Jahres 1926 starb Dona Gertrudes, gerade 59 -jährig, an den Folgen des von ihr selbst verursachten Zusammenpralls mit einem Omnibus. Erst zwei Tage darauf erreichte Fernando die traurige Botschaft. Er ließ alles stehen und liegen, um sich gleich nach Évora aufzumachen und sich um die Beerdigung zu kümmern. Er verfluchte seinen Bruder sowie dessen nichtsnutzige Frau und fügte sich in das Unvermeidliche. Wenn er selber nicht schleunigst etwas unternahm, würde seine Mutter noch im Armengrab landen!
Es fiel Fernando schwer,
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