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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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so intensiv um Dona Gertrudes zu trauern, wie er es unter anderen Umständen wahrscheinlich getan hätte. Der Zeitpunkt ihres Todes kam denkbar ungelegen: Kurz zuvor, am 28 . Mai 1926 , hatte ein Militärputsch zum Sturz der Republik geführt. Seine eigene Rolle in dem Putsch war nicht unbedeutend, und gerade jetzt war er stärker gefordert denn je zuvor. Das Volk befürwortete die Maßnahme zwar mehrheitlich, dennoch galt es nun zu beweisen, dass sie, die Militärs, in der Lage waren, Ordnung in das republikanische Chaos zu bringen. Und wie glaubhaft wirkte wohl ein führender General, der gleich in den ersten Tagen nach dem Umsturz ein paar Tage aufs Land fuhr?
    Drei Tage musste er mindestens dafür veranschlagen. Weder die Nachbarin, die ihn telegrafisch verständigt hatte, noch das Bestattungsunternehmen hatten einen Telefonanschluss, und Fernando bezweifelte, dass seine Anweisungen korrekt ausgeführt würden, wenn er sie ebenfalls telegrafisch durchgegeben hätte. Es musste ein Termin für die Beerdigung und ein Grabstein ausgesucht werden, es mussten Dona Gertrudes’ Nachbarn, Bekannte, Freunde und natürlich Verwandte benachrichtigt werden. Die Einzige, die sich um all diese Aufgaben hätte kümmern können, nämlich seine Schwester Maria da Conceição, lag ausgerechnet jetzt mit hohem Fieber im Bett.
    Gleich nachdem Fernando in Évora angekommen war, ließ er auf dem Hauptpostamt eine Telefonleitung nur für sich reservieren. Er betraute einen höchstens zwanzigjährigen Beamten damit, jeden eingehenden Anruf detailliert aufzunehmen und unverzüglich an ihn weiterzuleiten, und wenn der junge Mann denn persönlich in die Rua das Alcaçarias gelaufen käme. Der Beamte war nicht sonderlich begeistert davon, den Laufburschen spielen zu müssen. Aber er sah die Notwendigkeit ein – jawohl, Herr General, wichtige Staatsangelegenheiten, der General Abrantes musste jederzeit erreichbar sein! Fernando beglückwünschte sich im Stillen für seine Weitsicht, in Uniform nach Évora gereist zu sein.
    Nachdem das geregelt war, kümmerte Fernando sich um die Beerdigung. Er bezahlte Unsummen für eines der bestgelegenen Gräber auf dem Friedhof sowie für die Bearbeitung eines graphitenen Grabsteins. Er gab eine Traueranzeige in der lokalen Zeitung auf, machte die Leute ausfindig, mit denen seine Mutter in den vergangenen Jahren in engerem Kontakt gestanden hatte, und veranlasste alles Nötige für die Bewirtung der Beerdigungsgäste. Er suchte den Beichtvater seiner Mutter auf und füllte den Opferstock von dessen Kirche großzügig, um zu gewährleisten, dass der Mann sich mehr als löblich über die Verstorbene äußerte. Nicht, dass es an deren untadeligem Leben den geringsten Zweifel gegeben hätte.
    Fernandos schwierigste Aufgabe bestand darin, die örtlichen Behörden davon zu überzeugen, seinen Bruder für die Dauer des Begräbnisses aus der Haft zu beurlauben. Er musste persönlich dafür bürgen, dass Sebastião am Nachmittag um Punkt zwei Uhr wieder im Gefängnis abgeliefert wurde – wo er Fernandos Meinung nach auch hingehörte. Der Mistkerl hatte den Onkel seiner Frau, Senhor Rodrigo, um mehr als 1000 Escudos geprellt und sich vor seinen Saufkumpanen damit auch noch so schamlos gebrüstet, dass ihm nicht einmal mehr die Zeit geblieben war, alles zu verjubeln: Die Polizei hatte ihn mit immerhin noch fast 150 Escudos in der Tasche ergriffen.
    »Ich dachte schon, du kommst nie«, hatte Sebastião seinen Bruder an der Tür seiner Zelle empfangen.
    »Ist das alles, was dir am Tag der Beerdigung unserer Mutter einfällt? Die du, nebenbei bemerkt, mit deinem Verhalten ins Grab gebracht hast?«
    »Wenn du mir das Geld geliehen hättest, das ich brauchte, wäre das nicht passiert.«
    »Wahrscheinlich nicht – du wärst dann ständig so betrunken gewesen, dass du deinen unglaublich raffinierten Plan gar nicht hättest ausführen können. Und jetzt komm. Ich habe dir einen ordentlichen Anzug besorgt, und eine Rasur und ein Bad könntest du auch vertragen. Sei einmal, ein einziges Mal, ein guter Sohn und erweise deiner Mutter die Ehre, die ihr gebührt. Nüchtern, wenn es geht.«
    Sebastião sah seinen Bruder an, als wäre der von allen guten Geistern verlassen. Was fiel Fernando ein, sich derartig aufzuspielen? Er, Sebastião, war doch kein kleiner Soldat, den man herumkommandieren konnte!
Er
war schließlich derjenige gewesen, dem man die Mutter aufgehalst hatte.
Er
hatte die Alte durchfüttern und sich ihr

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