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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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ausweisen musste? Das würde nicht geschehen, hatte Fernando ihr versichert, und in seinen Augen hatte es gefunkelt wie früher, wenn sie als Kinder verbotene Abenteuer ausgeheckt hatten.
    Der Zug passierte jetzt ein altes Schloss, das direkt über dem Meer thronte. Aus dem Fenster sah Jujú eine wunderschöne lang gezogene Bucht, an deren östlichem Ende eine weiß gleißende Stadt lag. Das musste Cannes sein. Sie tupfte sich ein wenig Parfum hinter die Ohren, zog die Jacke an, setzte den Hut auf und öffnete, als sie merkte, dass der Zug seine Fahrt verlangsamte, das Fenster. Sie lehnte sich mit den Armen in die Öffnung, hielt ihren Hut mit einer Hand fest und ließ sich die laue Luft um die Nase wehen. Der Fahrtwind war doch noch stärker, als Jujú gedacht hatte, er brannte in ihren Augen. Was soll’s, dachte sie, er wird es für Freudentränen halten.
    Sie sah Fernando, bevor er sie entdeckte. Er trug einen hellen Anzug und sah darin aus wie ein Filmstar. Plötzlich fand sie ihren allzu korrekten Aufzug unpassend. Aber da hatte er sie bereits gesichtet. Er strahlte von einem Ohr bis zum anderen, als sie auf seiner Höhe angelangt war, und lief dann so lange neben ihr her, bis der Zug endgültig zum Stillstand gekommen war. Wenige Sekunden später stand er in ihrem Abteil, drückte sie fest an sich und suchte ihre Lippen zu einem Begrüßungskuss.
    »Nicht«, raunte sie ihm zu. »Wenn uns jemand sieht …«
    »Ein Mann wird doch wohl seine geliebte Gattin nach Wochen der Entbehrung mit einem anständigen Kuss empfangen dürfen«, flüsterte er ihr ins Ohr und zog sie noch näher an sich heran. Aber Jujú sträubte sich. Das war zu neu, zu verboten und zu gefährlich, als dass sie munter drauflos diese Rolle hätte spielen können. Sie hauchte ihm ein Küsschen auf die Wange und entwand sich seiner Umarmung.
    »Komm, mein lieber Gemahl, gleich fährt der Zug ab.«
     
    Der Page öffnete die Tür zu ihrer Suite und wartete, dass die Gäste eintraten. Jujú zögerte einen Moment, bis sie plötzlich merkte, dass Fernando sie hochhob. Aber – er wollte sie doch jetzt nicht allen Ernstes über die Schwelle tragen? Er wollte. Jujú errötete.
    »Oh, das ist leider nicht die Hochzeitssuite, Monsieur«, entschuldigte der Page sich. »Das muss ein Versehen sein, wenn Sie möchten …«
    »Nein, nein, es ist alles in Ordnung«, schnitt Fernando ihm in holprigem Französisch das Wort ab, während er Jujú absetzte und ihr zuzwinkerte.
    »Mein Mann ist manchmal zu bizarren Scherzen aufgelegt«, meinte Jujú dem Burschen erklären zu müssen. Da, jetzt hatte sie es zum ersten Mal gesagt:
mon mari
 – mein Mann. Es war überhaupt nicht schwer gewesen und hatte nicht im Geringsten merkwürdig geklungen. Das konnte natürlich auch an der fremden Sprache gelegen haben. Zwar sprach Jujú perfekt Französisch, aber es war ihr nie so vertraut wie das Portugiesische geworden. In einer Fremdsprache fand sie es paradoxerweise viel einfacher, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen, und »je t’aime« kam ihr deutlich leichter über die Lippen als »amo-te«, ich liebe dich. Sie sah Fernando an, der sie seinerseits anschaute, als wüsste er genau, was gerade in ihr vorging.
    Ihr Hotelzimmer war wunderschön. Es war eine riesige Suite, die nach Süden, zum Meer hin gelegen war. Sie war vornehm möbliert und besaß neben dem Schlafzimmer und dem eleganten Wohnraum mit Balkon auch ein äußerst großzügiges Bad, das ganz modern eingerichtet war. Alle Räume waren sehr hoch – im Sommer sicher ein Vorteil, zu dieser Jahreszeit jedoch ein Manko, da sie sich schlecht beheizen ließen. Doch im Kamin flackerte ein kleines Feuer, so dass wenigstens der Salon anheimelnd warm war.
    Jujú beging die Suite, als müsse sie hier für Jahre einziehen. Sie betrachtete jede Einzelheit genau, nahm jeden losen Gegenstand, wie etwa die Porzellanfigurine auf der Flurkonsole, in die Hand, und studierte das hoteleigene Briefpapier mit derselben Konzentration wie die Karte des Zimmerservices. Sie begeisterte sich für die Handtücher mit dem aufgestickten Hotelnamen und fuhr mit der Hand, nachdem sie sich auf die Bettkante gesetzt hatte, über die Bettwäsche, wie um deren Qualität zu prüfen. Fernando beobachtete sie amüsiert.
    »Du wirst doch nicht zum ersten Mal in einem Grand Hotel sein, oder?«
    »Nein, aber ich finde es immer wieder herrlich. Diese Häuser haben etwas so … Majestätisches.«
    Fernando wunderte sich. Er empfand zwar genau

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