So weit der Wind uns trägt
Wenn mir also noch einmal zu Ohren kommen sollte, dass dieser Mann dich besucht und dich küsst, und seien es nur deine Hände, dann werde ich alle Zahlungsanweisungen an dich sofort einstellen.«
»Und dann komme ich reuig hierher zurück? Ist es das, was du willst? Rui, mit Verlaub, ich kenne dich. Ich weiß genau, dass es dir nur lieb ist, wenn ich aus dem Weg bin. Und nur, um hier sämtliche Missverständnisse auszuräumen: Ich bin keine Ehebrecherin.«
»Dabei bekäme es dir vielleicht mal ganz gut … «
Laura war sich nicht sicher, ob sie das Gesagte richtig verstanden hatte. Siedend heiß fiel ihr wieder ein, wie sie damals ihren Cousinen eine Geschichte über ihre Mutter aufgetischt hatte, um von ihrem eigenen Geheimnis abzulenken. War das jetzt die Strafe dafür? Hatte sich ihre frei erfundene Geschichte bewahrheitet?
Plötzlich hörte Laura ein lautes Klatschen. Zu schade, dass sie nicht durchs Schlüsselloch sehen und gleichzeitig lauschen konnte. Was das wohl gewesen war? Eine Ohrfeige? Und wer hatte dann wem eine runtergehauen?
Einen Augenblick lang war es ganz still. Dann brach ihre Mutter das Schweigen, aber ihre Stimme klang vollkommen anders als noch Sekunden zuvor – kalt, beherrscht, nüchtern.
»Ich werde in Lissabon empfangen, wen ich will. Du kannst mir nicht drohen. Eigentlich bist doch du es, der Angst vor der Enthüllung seines wahren Wesens hat, oder etwa nicht? Was würden wohl Dona Filomena und Senhor Adalberto sagen, wenn sie wüssten, dass ihr perfekter Sohn, nun ja, nicht ganz so perfekt ist, wie es alle Welt glaubt? Glaubst du, ich wüsste nicht, warum du dich so gegen eine Scheidung sträubst?«
Das war der Moment, in dem Laura fluchtartig ihren Horchposten verließ. Das Wort »Scheidung« beschwor ihre übelsten Ängste herauf. Ein Mädchen im Internat hatte geschiedene Eltern, und es wurde ständig gehänselt und schikaniert – sogar von den Nonnen. Es gab kaum einen schrecklicheren Makel, als geschiedene Eltern zu haben, höchstens noch den, ein uneheliches Kind zu sein. Aber ein solches kannte Laura nicht, und hätte sie es getan, wäre ihr der Umgang mit ihm verboten worden. Scheidung! Lieber Gott im Himmel, bitte keine Scheidung! Jeder Gedanke an ihr Fahrrad hatte sich verflüchtigt.
Jujú hörte die Dielen im Flur knarren. Es war Zeit, dieses Gespräch zu beenden, bevor irgendjemand Zeuge ihres grotesken Wortwechsels wurde. Sie würden das Schlafzimmer verlassen und einfach weitermachen wie bisher. Sie würde Rui nicht der Lächerlichkeit preisgeben. Sie würde die Farce weiterspielen, um den Anschein einer intakten Familie wenigstens vor den Kindern aufrechtzuerhalten. Aus demselben Grund würde sie allerdings auch nicht mehr Fernando zu sich in die Wohnung einladen. Sie war erschüttert gewesen, als Rui sie mit den Beobachtungen Paulinhos konfrontiert hatte. Wenn der Junge ihre nach außen hin harmlosen Begegnungen so deutete, wie sie eigentlich auch zu deuten waren, dann musste sie Fernando selbst zum nachmittäglichen Kaffee woanders treffen.
»Ich glaube, es ist alles gesagt«, warf sie Rui von der geöffneten Tür aus zu. »Ach, und bevor ich es vergesse: Denk bitte daran, das Fahrrad heute Nacht aus dem Schrank zu holen und es im Esszimmer aufzustellen, am besten direkt vor der Fenstertür zur Veranda, da wird Laura es sofort sehen – für den Fall, dass sie vor uns aufwacht.« Damit schloss sie sacht die Tür und ging nach unten in den Salon, um sich Dona Filomena und Senhor Adalberto als die beste aller Schwiegertöchter zu präsentieren. Davon, dass sie heute Nacht das Gästezimmer beziehen würde, mussten weder die beiden alten Herrschaften noch sonst jemand etwas erfahren.
Am nächsten Tag wachte Laura außergewöhnlich früh auf. Es war noch dunkel draußen, und im Haus war kein Laut zu hören. Sie zog sich ihren Morgenmantel über und lief nach unten. Der Tisch war zwar schon gedeckt, und aus der Küche drang der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee, aber außer ihr und der Köchin war anscheinend noch niemand aufgestanden. Alle Frühstücksgedecke auf dem Tisch waren unberührt. Laura war ein wenig enttäuscht, doch sie zwang sich zur Vernunft. Was erwartete sie schließlich, wenn sie zu nachtschlafener Zeit im Haus herumgeisterte? Sie setzte sich auf ihren Platz und starrte beleidigt auf die alte Standuhr, als sei diese an ihrer Misere schuld. Zehn nach sieben. Es konnte noch ewig dauern, bevor sich jemand ihrer erbarmte.
Doch bereits
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