So weit der Wind uns trägt
Bettdecke unters Kinn und drehte sich um. Nur noch fünf Minuten. Doch durch den Nebel des Halbschlafs dämmerte ihm schwach, dass er irgendetwas – einen Geschäftstermin?, eine Verabredung zum Tennis? – vergessen hatte.
19
D ie Zugfahrt hatte schier endlos gedauert, aber was Jujú nun aus dem Fenster ihres Abteils sah, war die ganze Mühe wert gewesen. Die französische Riviera zeigte sich dem Reisenden im Februar von einer besonders leuchtenden Seite: Die Mimosen blühten, und zwar in so unglaublicher Zahl und Pracht, dass sie der Sonne Konkurrenz machten. Das wild zerklüftete Estérel-Gebirge war von gelben Tupfern durchsetzt, und die Ausblicke aufs Mittelmeer, die Jujú immer wieder durch das Pflanzendickicht entlang der Bahngleise erhaschte, sahen aus, als hätte man sie golden gerahmt. Es war jetzt nicht mehr weit bis nach Cannes, der Schaffner hatte sie bereits davon in Kenntnis gesetzt, dass sie in etwa zwanzig Minuten ankommen würden.
Cannes? Zuerst hatte sie gedacht, Fernando erlaubte sich einen Spaß mit ihr. Doch es war ihm ernst. Ja, Cannes, hatte er gesagt – er müsse drei Tage an einem Kongress in Nizza teilnehmen, irgendetwas über die Zukunft der Luftfahrt, wenn Jujú sich recht entsann, und seine Frau zöge es vor, nicht mitzureisen. Warum, das hatte Jujú nicht gefragt. Am liebsten wollte sie nie wieder etwas von dieser Frau hören, die ein Kind nach dem anderen bekam und demnach offenbar nicht ganz so reizlos war, wie Fernando immer behauptete.
Ihr selber war es nicht schwergefallen, sich die Zeit für einen kleinen Ausflug zu nehmen. Laura ging seit dem vergangenen Jahr auf ein Internat, und Paulinho war froh gewesen, über Karneval zu seinem Vater und seinen Großeltern nach Pinhão zu fahren. Und die wiederum interessierten sich nach wie vor mehr für das Portweingeschäft als für Jujú und ihre Reisepläne. Seit Jujú ihre Wohnung in Lissabon bezogen hatte, bestand ihre Ehe ohnehin bloß noch auf dem Papier, und das auch nur, weil Rui eine Scheidung für geschäftsschädigend hielt. »Sei nicht albern – niemand empfindet eine Ehescheidung heute noch als skandalös«, hatte sie ihm gesagt. Doch Rui weigerte sich. »Warum legst du so großen Wert darauf, geschieden zu sein? Deine Ehre würde erheblichen Schaden nehmen. Außerdem hast du als verheiratete Frau doch viel mehr Freiheiten – erst recht als
meine
Frau.« Mit diesen Argumenten hatte er die Diskussion beendet. Und es stimmte ja: In Wahrheit konnte es Jujú egal sein, ob sie noch mit Rui verheiratet war oder nicht, solange er ihr die Freiheit ließ, in Lissabon das Leben zu führen, das ihr behagte. Und solange auch Fernando verheiratet war.
In Kürze würde sie also ihre »Kur« beginnen. Bei der Vorstellung, was wohl ihre Verwandtschaft davon halten mochte, musste Jujú still in sich hineinkichern. Eine Liebeskur, ha! Oh, sie würde sich ganz sicher besser fühlen nach diesem Urlaub, und ganz gewiss würde sie auch wieder besser aussehen. Alle würden ihr bestätigen, wie gut ihr diese Reise getan hätte, und die Wohlmeinenderen würden sie ermutigen, sich regelmäßig solche Kuren zu gönnen. Jujú hörte sich selber glucksen. Oh Gott, sie musste sich zusammenreißen – sie war ja kurz davor, hysterisch zu werden!
Sie war aufgeregt wie ein junges Mädchen vor seinem ersten Ball. Alle paar Sekunden kontrollierte sie ihr Aussehen in ihrem Taschenspiegel, und alle paar Sekunden stellte sie fest, dass es nichts daran zu verbessern gab. Jedenfalls nicht auf die Schnelle. Ihre Lippen waren perfekt ausgemalt, ihre Nase und ihre Stirn glänzten nicht, die Frisur saß. Sie trug eine kurzärmlige Bluse zu einem wadenlangen, eng geschnittenen Flanellrock, der ihre schmale Gestalt sehr gut zur Geltung brachte und dessen anthrazitfarbener Ton nicht gar so deutlich ihre Laune verriet. Wenn es danach gegangen wäre, hätte sie von Kopf bis Fuß in Rosa gekleidet sein müssen. Aber die hellblaue Bluse sah freundlich und duftig genug aus, und wenn sie erst das kurze Persianerjäckchen darüberzog und den Hut aufsetzte, der im Ton genau zum Rock passte, wäre sie insgesamt eine durch und durch elegante, respektable Erscheinung. So gehörte es sich ja auch für die Gattin des General Abrantes.
Darauf hatte Fernando bestanden. »Wenn du dich nicht als meine Frau ausgibst, werden wir auch kein gemeinsames Zimmer nehmen können. Jedenfalls nicht im Carlton.« Aber was, hatte Jujú eingewandt, sollte sie tun, wenn sie sich
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