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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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dasselbe, aber er hatte es immer darauf zurückgeführt, dass er aus ärmeren Verhältnissen stammte und ihn großer Luxus insgeheim noch immer einschüchterte. Bei Jujú hatte er erwartet, dass sie die Eleganz dieser Räume als die natürlichste Sache der Welt hinnehmen würde. Man brauchte sie ja nur anzuschauen, um zu wissen, dass man es mit einer Dame zu tun hatte, die Reichtum niemals hatte erlernen müssen. Allein wie sie vorhin am Zugfenster gestanden hatte! Sie hatte ausgesehen wie eine Diva, eine berühmte Opernsängerin oder etwas in der Art, die sich für die Reise besonders schlicht gekleidet hatte, um unerkannt zu bleiben.
    Fernando setzte sich zu Jujú auf die Bettkante. Er nahm ihre Hand, führte sie an seine Lippen und küsste sie sanft. Er ließ ihre Hand wieder herab und näherte sich mit dem Gesicht dem ihren. Jujús Augen waren in Erwartung eines Kusses halb geschlossen. Sie hielt den Atem an. Als sie Fernandos Lippen auf ihrem Mund spürte, zart wie das Streicheln mit einer Feder, schloss sie die Augen ganz. In diesem Augenblick klingelte es an der Tür.
    »Das wird mein Gepäck sein«, sagte Jujú und sprang auf, als wäre sie froh über die Störung. Aber das war sie nicht. Von ihr aus hätte er sie ewig küssen können. Sie konnte sich gut an diese Küsse erinnern, die so zaghaft begannen – viel sanfter, als man es bei einem Mann mit den herben Zügen Fernandos vermutet hätte – und deren Intensität sich dann steigerte, bis sie beide sich in leidenschaftlicher Hingabe danach sehnten, ihre Körper in derselben Gier zu vereinen. Aber das Debakel in der Absteige in der Alfama saß Jujú noch immer in den Knochen.
    Nachdem ihre Koffer abgestellt worden waren, bat Jujú um ein paar Minuten für sich alleine, um sich schnell frisch zu machen und umzuziehen. »Zieh doch etwas Praktisches an, bitte. Eine Hose vielleicht. Und keine hochhackigen Schuhe«, hatte Fernando sie gebeten, bevor er die Suite verließ. Jujú fand das anmaßend. Nicht einmal ihr Ehemann machte ihr irgendwelche Vorschriften über ihre Garderobe.
    Fernando saß derweil im Foyer, auf eine längere Wartezeit gefasst. Zu seiner Überraschung kam Jujú jedoch nach etwa einer Viertelstunde nach unten. Sie trug ein Kleid und halbhohe Schuhe. Das waren wahrscheinlich die praktischsten und einfachsten Sachen, die sie eingepackt hatte.
    Er bestellte ihr ein Glas Champagner. Er selber trank nur ein Glas Wasser.
    »Auf uns«, sagte er und stieß mit ihr an.
    »Auf uns«, entgegnete sie mit rauchiger Stimme und sah ihm tief in die Augen. »Der Klang von Wassergläsern ist nicht eben hübsch. Warum leistest du mir beim Champagner keine Gesellschaft?«
    »Das wirst du gleich sehen. Komm, ich habe eine Überraschung für dich.«
     
    Die Fliegerei hatte in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Während die ersten militärischen Einsätze 1914 noch mit klapprigen Apparaten geflogen worden waren, gab es jetzt, 1928 , eine Vielzahl an großen, sicheren Flugzeugen. Die Zeit der Pioniere und Helden der Luftfahrt, gleich welcher Nationalität, schien abgelaufen zu sein. Der Rote Baron, Roland Garros oder Santos Dumont waren beinahe in Vergessenheit geraten, seit Charles Lindbergh im vergangenen Jahr allein und ohne Zwischenstopp den Atlantik überquert hatte, und selbst Lindberghs Leistung verblasste angesichts des galoppierenden Fortschritts und der immer leistungsfähigeren Flugzeuge.
    Der Himmel war längst auch von der zivilen Luftfahrt entdeckt worden, und je mehr Privatpersonen per Flugzeug reisten, desto mehr verlor er seinen Reiz für all jene, die von der Entdeckerwut beseelt waren. Denen blieb jetzt nur noch das All, dachte Fernando mit milder Belustigung – nun ja, auszuschließen war es nicht, dass der Mensch eines Tages auch den Mond erobern würde. Er selber würde das wohl kaum noch miterleben. Aber im Augenblick genügte es ihm vollkommen, die Erdanziehungskraft allein durch die Macht seiner Gefühle außer Gefecht gesetzt zu haben. Fernando schwebte im siebten Himmel.
    Er fuhr die Klappen wieder ein und nahm etwas Gas weg. Die Nase des Flugzeugs senkte sich leicht. Sie hatten ihre Reiseflughöhe erreicht. Neben sich die Frau, die er liebte, unter sich die atemberaubend schöne Landschaft der französischen Seealpen, rundherum nichts als blauer Himmel – so ließ es sich leben. Sie flogen auf einer Höhe von etwa 2000 Fuß, knapp 700 Metern.
    Jujú starrte wie gebannt aus dem Fenster. Sie saß zum ersten

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