So weit die Hoffnung trägt - Roman
nicht allzu ernst genommen. Gott ist auch älter und weiser. Ich glaube, er versteht es auch.«
Das erschien mir logisch. »Ich hoffe, Sie haben recht«, sagte ich.
Er grinste wieder. »Natürlich habe ich recht. Sonst bekomme ich viel Ärger!«
Ich lachte wieder. Während ich diesen grinsenden alten Mann ansah, war mein Herz voller Dankbarkeit. Der Gedanke, ihn zu verlassen, erfüllte mich mit Traurigkeit. Wir aßen eine Zeit lang schweigend, bevor ich schließlich wieder das Wort ergriff: »Ich werde heute aufbrechen.«
Er nickte. »Ja, das dachte ich mir schon.«
»Ich würde davor gern duschen, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Ja, natürlich.« Er blickte traurig. »Brauchen Sie noch irgendetwas, bevor Sie gehen?«
»Nein. Sie haben mehr als genug getan.«
»Ich kann Sie zurück zum Freeway fahren.«
Obwohl ich Mitfahrgelegenheiten normalerweise ablehnte, konnte ich es ihm nicht abschlagen. »Danke. Sehr gern.« Ich trug meinen Teller zur Spüle und drehte das Wasser auf, um ihn abzuwaschen.
»Nein, nein, lassen Sie ihn einfach stehen. Bitte. Ich mache den Abwasch später. Gehen Sie duschen.«
»Sicher?«
Er tat meine Worte mit einer Handbewegung ab. »Ja. Gehen Sie schon.«
Auf seine Entlassung hin ging ich in mein Zimmer, suchte mir ein paar Anziehsachen und einen Rasierer und ging ins Bad. Zuerst rasierte ich mich, dann drehte ich das Wasserauf und stellte mich unter die Dusche. In einer Plastikschale lagen ein paar kleine Seifenstückchen. Leszek war ein Mann, der wenig hatte und noch weniger vergeudete. Ich duschte nicht sehr lange, da mir bewusst war, dass ich sein heißes Wasser verbrauchte. Ich wusch mir zweimal die Haare, noch immer verblüfft davon, wie lang sie waren. Ich konnte sie mir fast zu einem Pferdeschwanz binden.
Als ich aus der Dusche kam, konnte ich Leszek wieder Klavier spielen hören. Ich trocknete mich ab und zog mich an, dann ging ich in mein Zimmer und packte meine restlichen Sachen. Ich machte das Bett, bevor ich meinen Rucksack ins Wohnzimmer trug, wo Leszek auf mich wartete. Er schaute sehr traurig aus.
»Sie sind bereit zum Aufbruch«, sagte er.
»Leider ja«, erwiderte ich.
»Okay, okay. Gehen wir.«
Wir gingen zur Tür hinaus und zu seinem Wagen. Ich warf meinen Rucksack auf die Rückbank, dann stieg ich ein, und Leszek ließ den Wagen an. Während wir sein Wohnviertel verließen, wies er mich noch einmal auf den Maispalast hin, dessen Fassade mit Wandbildern aus Maiskolben geschmückt war. Als wir unter dem Freeway hindurchfuhren, deutete ich auf eine kleine Abzweigung nahe der Freeway-Auffahrt.
»Wie wär’s dort drüben?«, sagte ich.
Leszek lenkte den Wagen an den Straßenrand und stellte den Motor ab.
Ich fühlte mich überraschend wehmütig.
»Nun, mein guter Freund«, sagte Leszek. »Jetzt heißt es Abschied nehmen.« Er streckte seine kräftige Hand aus, und ich ergriff sie.
»Nur ›danke‹ zu sagen erscheint mir so unangemessen. Ichbin Ihnen zu so viel Dank verpflichtet für alles, was Sie für mich getan haben.«
»Es war mir ein Vergnügen«, sagte er. »Lebt Ihr Vater noch?«
»Ja.«
»Dann muss er stolz auf einen solchen Sohn sein. Ich hoffe, wir sehen uns einmal wieder.«
»Ich auch«, sagte ich. »Ich habe Ihre Telefonnummer gar nicht bekommen.«
»Dann werde ich sie Ihnen geben.«
Ich zückte mein Tagebuch und einen Stift. Er sagte mir seine Nummer, und ich schrieb sie auf. »Ich rufe Sie an, wenn ich in Key West bin.«
»Ja. Rufen Sie mich an. Ich werde Sie mit Toast feiern.«
»Mit Toast?«, sagte ich. »Ist das ein jüdischer Brauch?«
»Ja. Ich werde einen Toast auf Sie trinken.«
Ich lachte. Dann gab ich ihm noch einmal die Hand und stieg aus dem Wagen. »Passen Sie auf sich auf, mein Freund«, sagte ich. »Alles Gute.«
»Was könnte mir in Mitchell, South Dakota, denn schon Schlimmes zustoßen?«, erwiderte er.
Ich lachte wieder. Er winkte, dann ließ er seinen Wagen an, blinkte und fädelte sich langsam wieder in den Verkehr ein. Ich sah zu, wie sein Wagen zwischen den anderen Autos verschwand. Nicht alles, was Gold ist, glänzt , dachte ich.
Sechzehntes Kapitel
Ich habe die Damen von der Red Hat Society gefunden. Oder vielmehr, sie haben mich gefunden.
A LAN C HRISTOFFERSENS T AGEBUCH
In den nächsten drei Tagen ging ich von Mitchell nach Sioux Falls. Mein Weg verlief ohne Zwischenfälle und zwischen lauter Mais. Überall war Mais. Einmal kam ich an etwas vorbei, das nach einer Erdölraffinerie aussah, was mich
Weitere Kostenlose Bücher