So weit die Hoffnung trägt - Roman
Frieden durchflutete mich. »Ich will ihm vergeben.«
Das war die Antwort. Wunsch. Es ist nicht die Fähigkeit, zu gehen, die Gott gefällt, es ist der Wunsch, zu gehen. Der Wunsch, das Richtige zu tun. Das wahrhaftigste Maß eines Menschen ist das, was er zu tun wünscht. Das Maß dieses Wunsches zeigt sich in den Taten, die folgen. »Ich will Kyle Craig vergeben«, sagte ich laut. Und diesmal meinte ich es auch so.
Ich griff zum Telefon und versuchte Kyle anzurufen. Unter seiner Nummer war kein Anschluss. Nach dem, was Falene mir damals in Spokane erzählt hatte, hätte ich mich darüber nicht wundern sollen.
Ich legte das Telefon beiseite und überlegte, wie spät es an der Westküste war. Ich hatte die Zeitzone zur Central Time überschritten, was hieß, dass es dort erst kurz nach acht war. Ich wählte Falenes Nummer. Sie nahm nicht ab. Ich hatteganz vergessen, dass sie nie bei Nummern abnahm, die sie nicht kannte. Ich legte auf und versuchte es noch einmal, während ich überlegte, welche Nachricht ich hinterlassen sollte. Zu meiner Verblüffung ging sie jetzt doch dran.
»Hallo?«
»Falene, hier ist Alan.«
Eine kurze Pause trat ein. »Alan, wo bist du?«
»Ich bin in South Dakota. Wie geht es dir?«
Sie schwieg einen Augenblick. »Gut«, sagte sie nicht sehr überzeugend.
»Und wie geht es dir wirklich?«
»Es ging mir schon besser«, sagte sie leise.
»Was ist los?«
»Weißt du noch, wie ich dir von meinem kleinen Bruder erzählt habe?«
»Ist er nicht kürzlich aus der Reha gekommen?«
Sie schniefte. »Ja. Aber er nimmt wieder Drogen. Ich habe ihn seit elf Tagen nicht mehr gesehen.«
»Das tut mir so leid.«
»Ich mache mir wirklich Sorgen«, sagte sie.
»Das tut mir so leid«, sagte ich noch einmal. Ich wusste nicht, was ich sonst sagen sollte.
Einen Augenblick später seufzte sie. »Aber das ist nicht der Grund, weshalb du anrufst. Was kann ich für dich tun?«
»Ich versuche Kyle Craig zu erreichen.«
»Kyle Craig?«
Ich wusste, dass sie das verblüffen würde. »Ja. Ich habe versucht, ihn anzurufen, aber unter seiner Nummer ist kein Anschluss mehr.«
»Das liegt wohl daran, dass es eine lange Liste von Leuten gibt, die ihn am liebsten lynchen würden. Warum willst du denn ausgerechnet mit dem reden?«
»Teil meines Heilungsprozesses, nehme ich an. Kannst du mir helfen, seine Nummer herauszufinden?«
»Das könnte eine Weile dauern.«
»Das macht nichts. Du kannst mich hier erreichen.«
»Okay«, sagte sie. »Ich rufe dich zurück.«
»Danke, Falene. Und was kann ich jetzt für dich tun?«
Sie seufzte. »Ich fürchte, leider gar nichts. Aber trotzdem danke.« Wir schwiegen beide einen Moment. Dann sagte sie: »Es ist so schön, deine Stimme zu hören.«
»Deine auch«, sagte ich.
»Ich rufe dich an, sobald ich Kyles Nummer rausfinde.«
»Danke«, sagte ich.
»Wir sprechen uns bald.«
Wir legten auf. Dann streckte ich mich auf meinem Bett aus und starrte an die Decke.
Ich vermisste Falene. Nach allem, was sie für mich getan hatte, wünschte ich, ich könnte sie irgendwie trösten. Sie war eine echte Freundin, und ich bezweifelte, dass ich ohne sie noch am Leben wäre.
Fünfzehntes Kapitel
Ich habe einen Pfarrer einmal sagen hören: »Der Grund, weshalb wir uns manchmal auf Anhieb mit einem völlig Fremden verstehen, ist, dass die Freundschaft nicht in diesem Leben entstanden ist, sondern die Wiederaufnahme einer Freundschaft aus einem anderen ist.« Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber manchmal kommt es mir so vor.
A LAN C HRISTOFFERSENS T AGEBUCH
Ich blieb noch ein paar Minuten im Bett liegen, dann stand ich ohne Probleme auf. Mir war nicht mehr schwindelig. Zeit zu gehen , dachte ich. Ich schlüpfte in eine Jogginghose und ging hinaus in die Küche. Leszek saß bei einer Tasse Kaffee am Tisch, eine Zeitung vor sich ausgebreitet. Er sah auf, als ich hereinkam.
»Guten Morgen«, sagte er.
»Guten Morgen.«
»Ich löse gerade ein Kreuzworträtsel«, sagte er. »Ich kann diese Rätsel nicht sehr gut. Wissen Sie ein Wort mit sieben Buchstaben für ›verehren‹?«
Ich ging hinüber und warf einen Blick auf die Zeitung.
»Der zweite Buchstabe ist ein n «, sagte er.
Ich schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Ich war in so etwas auch nie sehr gut.«
»Vielleicht, wenn es auf Polnisch wäre«, sagte er lächelnd. »Aber im Englischen gibt es zu viele Wörter, die ich nicht kenne.«
»Anbeten«, sagte ich.
Er sah auf das Wort. »Ja. Anbeten. Das ist sehr gut.« Er
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