So weit die Wolken ziehen
kommenden Tag eine andere Stube als Räumtrupp bestimmt. Erst eine Woche später klarte es auf und das Thermometer sank auf mehr als zehn Grad unter null. Der Himmel zeigte sich makellos blau. Kein Lüftchen rührte sich. Der Schnee glitzerte im hellen Licht der Sonne. Die Straße ins Tal war täglich zweimal geräumt worden, aber es war für Ruth trotzdem nicht leicht, rechtzeitig zur Schule zu gelangen.
Eines Morgens nach dem Frühstück wurde bekannt gegeben, dass an diesem Tag der Unterricht ausfallen würde. Frau Krase im Tannenhaus und Käthe Malik im Quellenhof sagten es an: »Heute geht es in den Schnee.«
Die Mädchen jubelten, obwohl sie noch nicht wussten, was das zu bedeuten hatte: Schneeballschlacht, Schlitten fahren oder Wege freischaufeln?
Um neun Uhr sollten sich die Schülerinnen vom Quellenhof warm angezogen und mit festem Schuhwerk an den Füßen in der Halle sammeln.
»Alle raustreten!«, befahl Käthe Malik.
Die Mädchen sahen es sofort. An der Hauswand lehnten viele Paar Skier und einige Schlitten.
Nur wenige Mädchen hatten bisher auf Skiern gestanden. Eine von ihnen war Erika Marvink. Ihr Vater war Leiter eines großen Kaufhauses und konnte es sich schon vor dem Krieg erlauben, jedes Jahr mit seiner Familie in den Winterurlaub zu fahren. Sicher, während der Winterolympiade 1936 in Garmisch-Partenkirchen hatte es viele Fotos in den Zeitungen gegeben. Christl Cranz wurde zwar als Siegerin in der Kombination wie ein Star gefeiert, aber es war etwas anderes, wenn man selbst fahren sollte. Die Mädchen wurden in vier Gruppen aufgeteilt. Zwei sollten mit Frau Lötsche zunächst zum Schlittenfahren losziehen, denn die Skier reichten nicht für alle aus. Die beiden Skigruppen marschierten mit der LMF über einen geräumten Weg auf den Berg zu. Auf einem flachen Hang ein paar Hundert Meter hinter der Wallfahrtskirche wurden die Bretter angeschnallt.
Eigentlich sollten die beiden Gruppen nun abwechselnd von Käthe Malik in die Grundtechniken eingeführt werden, aber dann kam Pater Lukas aus dem Kloster. Er stapfte auf seinen Brettern höher hinauf, wendete dann und erreichte in flotter Fahrt die Mädchen. Dicht neben Frau Malik stoppte er so, dass der Schnee aufstob.
»Ich könnte helfen. Dann braucht niemand hier herumzustehen und zu frieren. Was meinen Sie dazu, Frau Malik?«
»Ich wusste gar nicht, dass Ihnen als Pater das Skilaufen erlaubt ist«, sagte sie spitz. »Ora et labora, bete und arbeite, heißt es doch bei Ihnen. Fällt Skilaufen unter beten oder unter arbeiten?«
»Wenn ich einen Steilhang hinunterrase«, antwortete der Pater, »dann bete ich dabei. Geht es aber mit den Brettern bergauf, zählt das wohl als Arbeit.«
Frau Malik lachte. »Na, dann arbeiten Sie mal. Denn die meisten Mädchen stehen heute zum ersten Mal auf Skiern.«
Nach neunzig Minuten mit vielen vorsichtigen Versuchen und nach etlichen Stürzen in den Schnee tauschten die Skigruppen mit den Schlittenfahrerinnen. Gleich nach dem Mittagessen ging es weiter.
Im Tannenhaus war es ähnlich zugegangen, nur gab es dort genügend Skier für alle Kinder.
Als Ruth gegen halb zwei aus dem Dorf zurückkam, war niemand im Haus. Frau Hirzel zeigte ihr am Fenster das bunte Treiben auf dem Hang bei dem Haus, in dem Esther wohnte. »Beim Hintereingang stecken deine Skier im Schnee«, sagte sie. »Nimm sie auf die Schulter und lauf zu den anderen.«
Ruth, die den letzten Winter im Sauerland verbracht hatte, wusste, mit den Brettern umzugehen. Solange Schnee lag, war sie damit jeden Tag vom Haus ihrer Tante zur Schule gefahren, wie alle anderen Kinder auch. Sie schnallte sich die Bretter sofort an. Als sie am Hang auftauchte, schauten die Tannenhaus-Kinder ein wenig neidisch auf sie. Die Neue konnte das schon, was sie noch mühsam lernen mussten.
Es blieb der einzige schulfreie Tag. Immerhin erreichte Dr. Scholten bei Herrn Aumann, dass es, solange dieses herrliche Wetter anhielt, keine Hausaufgaben gab.
Der Direktor stimmte mit einer Einschränkung zu: »Aber das gilt nur für diese Woche.«
Nach wenigen Tagen bewegten sich die meisten Mädchen schon ziemlich geschickt auf den Brettern, und als fünf kleinere einheimische Kinder sie zu einer Wettfahrt herausforderten, waren sie mutig genug zuzustimmen.
Gegen die Zwerge werden wir es schon schaffen, dachten sie. Die fünf Besten sollten ausgewählt werden. Bei den ersten vier waren sich alle schnell einig, aber als Ruth als Fünfte von Frau Malik vorgeschlagen wurde, gab
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