So weit die Wolken ziehen
gekocht, obwohl es in den Geschäften schon seit langer Zeit kein echtes Kakaopulver mehr zu kaufen gab.
Die Kinder wollten sich dankbar zeigen und sangen ihr das Lied Nikolaus, komm in unser Haus. Plötzlich polterte es heftig gegen die Tür. Sie wurde aufgestoßen und ein unheimlicher Kerl stürzte in den Raum, schwarz im Gesicht, mit grün gefärbten Augenlidern, langen, struppigen Haaren und einem zotteligen Pelz über den Schultern. Sofort stieß er unartikulierte Laute aus, rasselte mit einer verrosteten Eisenkette und schwang seine Rute.
Frau Krase stellte sich vor die Mädchen, die ängstlich auf ihren Stühlen hockten. »Genug!«, rief sie, aber sie konnte den Krampus nicht daran hindern, die Mädchen zu bedrohen. Er lärmte und sprang umher und traf auch die eine oder andere mit seiner Rute. Nach einer Weile öffnete Frau Hirzel die Tür. Der Nikolaus trat ein, angetan mit einem weißen Wattebart, einer Zipfelmütze und einem roten Kittel. Er hielt einen langen Stecken und ein in Goldpapier eingeschlagenes dickes Buch in den Händen. Tapsig und ungeschickt trat er zu den Mädchen an die Tische. Als er stockend zu sprechen anfing, Von draußen vom Walde komm ich her, da erkannte Ruth verblüfft, dass es sich keineswegs um einen himmlischen Besuch handelte. Ähnlich holprig hatte am Vormittag in der Klasse die Stimme von Ernstl Hofreiter geklungen, als er genau dieses Gedicht vortragen sollte. Frau John hatte ihn deshalb ermahnt, er möge es gefälligst genauer nehmen mit dem Auswendiglernen.
Spricht der nicht genau wie der Ernstl?, fragte sie sich. Plötzlich rief sie laut in den Raum: »Das ist ja gar nicht der richtige Nikolaus. Das ist der Ernstl Hofreiter. Den kenn ich aus der Schule im Dorf. Der ist in der Oberklasse.«
Augenblicklich wurde es still.
Frau Krase nutzte die Schrecksekunde und sagte zu den Eindringlingen: »Jetzt ist aber endgültig Schluss mit dem Mummenschanz. Raus mit euch und stört nicht länger unseren schönen Abend.« Der Krampus maulte zwar noch vor sich hin und murmelte etwas von dämlichen Weibern, aber die beiden verließen das Tannenhaus. Mit dem schönen Abend wurde es nichts mehr. Frau Hirzel verschwand beleidigt in der Küche.
Die Lagermädelführerin rief wütend in den Raum hinein: »War das denn nötig, Zarski, dass du uns die Feier verdirbst?« Einige Mädchen stimmten ihr zu. Sie hockten noch ein paar Minuten beieinander, dann gingen sie nach und nach auf ihre Stuben.
Ruth war bitter enttäuscht, weil sie überzeugt gewesen war, es sei der echte Nikolaus, der jedes Jahr leibhaftig zu ihnen ins Haus kam. Später, als sie im Bett lag, fiel ihr ein, dass sie im letzten Jahr bei ihrer Tante im Sauerland zum ersten Mal misstrauisch geworden war. Sie hatte entdeckt, dass die Stiefel des Nikolaus denen glichen, die Tante Ursula im Stall anzog. Aber sie hatte nicht weiter nachforschen wollen. Ruth fühlte sich hintergangen, angelogen von den Menschen, denen sie vertraut hatte. Sie zog sich die Zudecke über den Kopf und weinte sich in den Schlaf.
Anna hatte von Direktor Aumann den Auftrag bekommen, zum Tannenhaus hinüberzugehen. Sie sollte Frau Krase einen Brief bringen, den der Postbote irrtümlich im Quellenhof abgegeben hatte und auf dem kein Absender angegeben war.
»Wahrscheinlich wieder eine anonyme Beschwerde von irgendeinem Querulanten hier im Ort«, vermutete der Direktor. »Und sag ihr auch, dass die neue Rotkreuzschwester heute mit dem Frühzug eingetroffen ist.«
Frau Krase nahm den Brief zwar entgegen, steckte ihn aber ungeöffnet in ihre Jackentasche. Sie wies gerade zwei Mädchen zurecht, die jammerten, weil sie rote Flecken am Körper hatten, die, wie sie sagten, schrecklich juckten.
Die Lehrerin sah sich die geröteten Stellen an. »Hattet ihr in den letzten Tagen Fieber?«
Das eine Kind sagte weinerlich: »Nein, Fieber nicht. Aber einige in unserer Stube machen uns Angst und behaupten, wir hätten Scharlach und das wäre ansteckend.«
»Mach den Mund weit auf.« Frau Krase drückte mit einem Löffelstiel die Zunge des Mädchens hinunter und befand: »Ich kann keine Rötung im Rachen sehen. Ich glaube, Scharlach ist es nicht. Gut für euch; denn sonst hätten wir euch in das Krankenhaus in der Stadt bringen müssen. Dort gibt es eine Isolierstation. Und das über Weihnachten. Stellt euch also nicht so an. Ihr habt wahrscheinlich mit Frau Hirzels Hund gespielt und euch Flöhe eingefangen. Nach Flohbissen bilden sich rote Flecken.« Die Mädchen
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