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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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sein.«
    Anna trat vor. Die Schwester gab ihr kurze Anweisungen, was sie zu tun hatte, und schiente den Bruch.
    Lydia ertrug nur widerwillig, dass Anna ihren Arm hielt. Inzwischen hatte Irmgard eine Trage aus dem Quellenhof hergebracht. Lydia wurde ins Haus geschafft. Direktor Aumann telefonierte mit dem Arzt im Dorf. Der Doktor ließ sich von Schwester Nora genau schildern, was geschehen war.
    »Mehr kann ich im Augenblick auch nicht machen«, sagte er. »Ich wurde gerade zu einer schwierigen Geburt gerufen. Telefonieren Sie mit dem Hospital in der Stadt. Man wird Ihnen einen Krankenwagen schicken.«
    »Es ist wahrscheinlich ein glatter Bruch«, sagte Schwester Nora zu Anna. »Du hast dich geschickt angestellt und mir ruhig und ohne zu zaudern geholfen. Willst du später mal Medizin studieren?«
    »Darüber habe ich noch nicht nachgedacht, Schwester Nora.«
    »Anna, wenn sie dich vielleicht in einem Jahr auch für den Krieg brauchen und hier wegholen, dann werde ich dich als Schwesternhelferin beim Roten Kreuz vorschlagen.«
    Es dauerte noch länger als eine Stunde, bis das Auto kam. Lydia lehnte jede Hilfe ab und ging selbst zum Krankenwagen. Schwester Nora begleitete sie zum Hospital. Auch Anna wollte mit, doch der Sanitäter wies sie ab. »Nur eine Begleitperson«, sagte er schroff.
    Erst nach dem Abendessen war Schwester Nora zurück. Sie brachte das Bruchstück des Skis mit und gab es Anna.
    »Du sollst es gut aufbewahren. Deine Schwester will es als Andenken behalten«, sagte sie. »Die Fraktur ist gerichtet worden. Es hört sich schlimmer an, als es ist. Lydia geht es nicht schlecht. Sie wird allerdings mindestens eine Woche in der Stadt bleiben müssen und an dem Gipsarm wird sie noch länger ihre Freude haben. Übrigens hat sie gesagt, wie schade, dass ausgerechnet der linke Arm und nicht der rechte gebrochen ist.«
    »Warum das denn?«, fragte Anna.
    »Sie hätte dann nämlich sechs Wochen lang keine schriftlichen Arbeiten machen müssen.«
    »Das ist unsere Lydia.« Anna lachte. »Es scheint ihr ja wirklich schon ein bisschen besser zu gehen.«
    Drei Wochen vor Ostern kam Käthe Malik mit geröteten, verweinten Augen zum morgendlichen Flaggenappell. Als Erstes sangen sie das Lied: Nur der Freiheit gehört unser Leben, lasst die Fahnen dem Wind … Plötzlich hörte die LMF auf zu singen und legte ihre Gitarre auf die Erde. Eine Stimme nach der anderen verstummte. »Freiheit ist das Feuer …« Schließlich schwiegen alle. Käthe Malik starrte eine Weile zu Boden. Niemand sprach ein Wort. Schließlich räusperte sich Frau Lötsche. »Was ist, Käthe? Ist’s Ihnen nicht gut?«
    »Nein, mir geht es schlecht. Ich habe gestern Abend den schriftlichen Befehl bekommen. Heute um zehn Uhr muss ich Maria Quell verlassen. In den nächsten Tagen tritt eine andere Lagermädelführerin an meine Stelle.«
    Sie ging ins Haus zurück. Auch später gab es keine nähere Erklärung für ihre Ablösung. Es ging das Gerücht, in Wien sei man mit ihrer Arbeit unzufrieden gewesen. Die Erziehung der Mädchen im Sinne der Partei lasse zu wünschen übrig. Auch hätte sie den Lehrpersonen zu viel freie Hand gelassen.
    Die meisten im Haus bedauerten den Weggang von Käthe Malik. Die Mädchen dachten an die Wanderungen mit ihr, an die vielen Aktivitäten, die sie angeregt hatte und die von morgendlichen Tierbeobachtungen in Wald und Feld über gemeinsame Filmveranstaltungen im Dorf bis zu Spielabenden reichten. Frau Lötsche versuchte, die Gauleitung in Wien telefonisch zu erreichen. Eine Sekretärin teilte ihr mit, die leitenden Damen und Herren seien zu einer Besprechung nach Linz gerufen worden und würden erst in der kommenden Woche zurückerwartet. Frau Lötsche rief erregt in den Hörer: »Ich verliere mit Frau Malik meine beste Mitarbeiterin. Wenn die Angelegenheit nicht rückgängig gemacht wird, reiche ich meine Versetzung ein. Melden Sie das dem zuständigen Vorgesetzten.«
    Der Direktor setzte ein Schreiben an die Gauleitung auf, in dem er zu bedenken gab, dass die Lagermädelführerin vom Kollegium ebenso wie von den Schülerinnen akzeptiert werde. Er sei sicher, dass übergeordnete Gesichtspunkte die Leitung zu diesem Schritt bewogen hätte, aber möglicherweise finde sich ein Weg, die Angelegenheit noch einmal zu überprüfen. Er wolle aber betonen, dass er mit einer gegebenenfalls neuen Lagermädelführerin selbstverständlich vertrauensvoll zusammenarbeiten werde.
    An dem Tag, als die neue LMF eintraf, schickte Frau

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